Vom Ermatten der Avantgarde zur Vernetzung der Künste
Der Buchtitel, den Christine Eichel für ihre Perspektiven einer interdisziplinären Ästhetik im Spätwerk Theodor W. Adornos gewählt hat, bezeichnet vortrefflich den aktuellen Übergang von der alten Avantgarde, deren Aufbruchsgestus sich als verderbliche Ware erwiesen hat, zu einer Ästhetik der “Verfransung” und Grenzüberschreitung, zu einer vernetzenden künstlerischen Rationalität, die sich den Umarmungen der Kulturindustrie ebenso verweigert wie dem Rückzug in eine Splendid isolation.
Mit ihrem sich in unübersichtlicher Vielfalt aufsplitternden Spektrum an Werken und Stilen forderten die Künste nach dem Zweiten Weltkrieg den frühen Avantgarde-Ignoranten Adorno, was den Surrealismus und die Dada-Bewegung betrifft, in den 60er Jahren zu einer veränderten Kunstreflexion heraus. Indem Musik, bildende Kunst, Literatur und Architektur teilgenommen haben an der Idee der Moderne, haben sie sich, so Adorno, einander angenähert. Adorno bezeichnet diese Tendenz als “Verfransung”, als ein Konvergieren der Künste, ein strukturelles Ähnlichwerden, das möglich geworden sei durch die Auflö- sung der traditionellen Grenzen und Funktionen von Kunstgattungen.
Der Schwenker des Konvertiten Adorno mit seiner Idee der Grenzüberschreitung bleibt, wie die Autorin bemerkt, allzu sehr einem “logozentrischen” Modell verpflichtet, welches das ver- bindende Element zwischen den Künsten in ihrem Sprach- bzw. Schriftcharakter lokalisiert. Daher die Verachtung Adornos gegenüber dem Jazz, der auf der Improvisation statt auf der schriftlichen Komposition basiert. Adorno “liest” die Musik und hält die Partituren für das Werk – vielmehr als die Musik selbst. Tanz als nicht fixierte Kunstgattung existiert für Adorno nicht.
Den Bildern eines Wassily Kandinsky oder den Kompositionen eines Alexander Skrjabin kann er nichts abgewinnen, weil er…