Jean Baudrillard
Virustheorie
Ein freier Redefluss
(Auszüge)
Diese VIRUSTHEORIE ist ein Faktum, vielleicht ein Fiktum, auch eine Simulation. Vielleicht ist es doch diese Kettenreaktion, diese virale Kettenreaktion, die wir überall beobachten. Es ist nicht einfach die letzte, die letzte wäre dieser elektronische Virus, aber der ist gar nicht der letzte, der ist auch nicht der erste. Wir haben es mit Viren überall zu tun, wo solche Systeme sich kapitalisieren, speichern und sowas wie bis zum äußersten sich strukturieren. Dann werden sie um so fragiler, sie werden zerbrechlich gerade in dem Maße, wie sie sich konsolidieren, dann werden sie immer fragiler, und schließlich erscheinen diese Viren, die wir auch überall beobachten können. Ich meine, man kann sie auch in der Ökonomie, in der politischen Ökonomie beobachten oder auch in der Sexualität. Aber wir wissen nicht, welche Funktion diese Viren haben, vielleicht haben sie eine funktionelle Nützlichkeit, auch für die Systeme. Vielleicht bedeutet im Sinne der künstlichen Intelligenz, bedeutet das Speichern eines totalen Wissens, der Anspruch auf totales Wissen, einen tödlichen Anspruch, bedeutet für die Spezies den Tod und den Untergang. Doch vielleicht ist der Aufbruch dieses Virus eine Rettung, ein Gegenmittel gegen Tod und Untergang. Wir wissen auch nicht, ob Aids – Aids ist natürlich an sich tödlich – wir wissen nicht, ob es nicht ein Rettungsmittel, ein provisorisches Rettungsmittel bedeutet gegen die virtuelle Katastrophe, die eine völlige sexuelle Befreiung für die Spezies bedeuten würde. Wir wissen das nicht. Vielleicht könnte man auch Terrorismus als viral bezeichnen, gegen politische Systeme, die sich mehr…