Karl Gerstner
Vilém Flusser und die Farben
Es ist Ihnen gelungen, lieber Freund, mich in Ihr schwindelerregendes Universum zu tauchen”, schrieb mir Vilém Flusser in seinem ersten Brief – umgekehrt war es genauso.
Vorangegangen waren Diskussionen über ein Thema, das ihn, den Philosophen, ebenso faszinierte wie mich, den Künstler: Farben und Formen, alles, was wir mit unserem Sehsinn erfassen.
Flusser über Ursachen und Folgen seines Schwindels: “Falls Farben Formen sind (und nicht Formen haben), und daher, falls Formen Farben sind (nicht haben), ist wohl im Namen des Pythagoras zu sagen: ‘Das Rot über der Hypothenuse eines rechtwinkligen Gelb ist die Summe des Rots über den Katheten.’ Und falls ‘Theorie’ die Betrachtung der ‘reinen’ Formen ist, dann ist ‘Farbtheorie’ ein den eigenen Schwanz fressender Drache (‘Uroboros’), denn sie ist Farbbetrachtung der Farben. Falls ‘Formel’ ein Diminutiv von ‘Form’ ist, dann ist das Gebäude aus Algorithmen und Theoremen (die ‘Wissenschaft’), ein pointillistisches Gepinsel (‘Weltbild’).”
Wir hatten uns unabhängig voneinander – von zwei verschiedenen Enden her – mit dem gleichen Thema beschäftigt. Es war ein Vergnügen, unsere Einsichten – sozusagen synergetisch – aufs schönste zu ergänzen und weiterzuentwickeln. Nach einer Weile lud mich Flusser mit der ihm eigenen Emphase ein, mit ihm zusammen einen Farbencode zu entwickeln.
Nun, nach seinem tragischen Tod (am 27. November 1991), ist das Kapitel als unvollendet ad acta zu legen. Aber die Bruchstücke – meine ich – verdienen festgehalten und mitgeteilt zu werden.
Gibt es nicht schon Farbencodes in Hülle und Fülle? In der Heraldik? Im Straßenverkehr? In der Psychologie? In der Signalethik? Im…