Hans-Joachim Müller
Vilém Flusser -Tänzer im Netz
Unruhe: Signatur eines Lebens, Signatur eines Denkens. Nichts kennzeichnet die philosophischen Auftritte von Vilém Flusser deutlicher als ihre Unbändigkeit, ihre Ereignishaftigkeit, ihr Sprungcharakter, die Virtuosität, mit der sie der Versuchung, bequeme Standpunkte zu besetzen, in immer neuen Aufbrüchen begegneten. “Ich war stets ein Stein des Anstoßes, nie eine Autorität”, hat er seine nomadenhafte Lebens- und Denkarbeit bilanziert.
Es gab da kein Anhalten, keine Fermaten, keinerlei reflexive Beschaulichkeit. Flussers Werk, das – ganz der Bewegungsstruktur des rastlosen Geistes entsprechend – aus lauter Einzelbausteinen, aus ungezählten Prolegomena einer dimensionslosen Weltgelehrsamkeit bestand, kannte nur das Umhertreiben und das Weitertreiben und das Getriebensein und die mächtigen Antriebe. Dem entfesselten Assoziierer war nichts so abgelegen, daß er es nicht mit dem Naheliegenden hätte verknüpfen wollen. Geschichtsvergessenen Futuristen spannte er ganze Bildungshorizonte zwischen kulturenweiten Ankerpunkten auf, und den Zukunftsächtern erzählte er das Neue als das eigentlich Alte. Und allen verwebte er das scheinbar Unzusammengehörige, das Inkohärente zum Netz, in dem sich Wahrheit allein im Spiel, in immer neuen Zuordnungen bilden sollte, im Suchen freier Valenzen, im Lösen, Verlieren und jähen Wiederfinden. Die Spieltheorie sei, so vermute er, die fundamentale Theorie der Zukunft. Jede Zeit besitze spezifische Modelle, nach denen die Zeitgenossen versuchten, sich in der Welt zu orientieren. Das Uhrwerk zum Beispiel sei ein solches Modell gewesen oder das Theater in der Barockepoche. Unserer Kultur liege das Modell des Spiels zugrunde, das Zusammen- und Ineinandergreifen von Zufall und Regel. Den Computer denke er sich nicht anders als einen Spielkasten.
Im Computer, den…