Video-Baby
Video Baby, in den USA 1989 angeboten. In der Verkaufsschachtel finden sich: Videoband (Dauer acht Minuten), Manual, Geburtszertifikat, Gesundheitsattest. Das Programm ist teilweise interaktiv aufgebaut. Benutzer und Benutzerin können und sollen Sätze sprechen, z. B. “Iß den Brei”, “Nimm den Löffel”, “Kriech zu Oma”, “Lächle Mami an”. Ein Name kann zugesprochen, das Kind zum Schluß in den Schlaf gesungen werden. Das Projekt ist keineswegs ironisch gemeint. Die Benutzer sollen sich hemmungslos den künstlichen Bildern als neuer, wahrerer Wirklichkeit hingeben. Die digitale Mechanik erzwingt perfekte Wirklichkeit: unerbittliche Oberfläche. Die vollkommene Ästhetisierung, grenzenlos bis zur Ekstase umfassender Betäubung, bewährt sich als Denunzierung des Wirklichen, als simulative Korrektur daran, daß das Wirkliche das einzig Störende an der Wirklichkeit ist. Auf der Verpackung steht: “Die volle, reiche Erfahrung der Elternschaft ohne das Durcheinander und die Lästigkeit der wirklichen Dinge. Lieben Sie Kinder, haben aber keine Zeit, sich um sie zu kümmern? Haben Sie Angst wegen der Enkel? VIDEO BABY ist für Sie!” Video Baby macht nicht in die Windeln, wirft keine Dinge aus dem Laufgitter, die auf dem Boden liegenbleiben, produziert keinen Dreck, stinkt nicht, ist nicht lästig, meldet sich nicht von allein, also zur Unzeit. Ist aber – immer für dichte und endliche acht Minuten – stetig bereit, die volle Wirklichkeit der elterlichen Affekte erlebbar zu machen. Mit Naturgewalt werfen die Menschen ihre Gefühle auf den Bildschirm. Sie wissen, daß sie sich absichtlich selber täuschen und dem Zauber der Simulacra hingeben. Ihre Einstimmung hat die Intensität einer autosuggestiv herbeigeführten Ekstase. Sie wachsen in…