Victoria Bell
Diese Zeichnungen bewegen sich in einem seltsamen Zwischenraum, der mit der Tatsache, dass Victoria Bell eigentlich „Bildhauerin“ ist, nur unzureichend beschrieben werden kann. Das automatische Primat des Plastischen wäre ohnehin anzuzweifeln angesichts dieser Blätter, von denen eine unbeugsame Imaginationskraft ausgeht. Bell bringt Energieströme auf Linie. In älteren Arbeiten geschieht das schon mal durch ein quasi suprematistisches Vokabular, in dem sich die Zentren an den diagonalen Kreuzungspunkten versammeln. Etwas Bühnenmäßiges, ein Schuss Proletkult steckt in diesen Visionen, die im Sinne des Mediums zwar Entwurf sein wollen; vielleicht sogar schon mit dem Seitenblick auf die Skulptur, aber durch die ausführliche, warum nicht: kernige Beschriftung autonom und unabhängig genug sind. Ihre Themen, – ja sie hat Anliegen, denen sie sich mit obsessiver Aufmerksamkeit widmet, – ihre Ideen bewegen sich zwischen Himmel und Erde. Bell beschwört kosmische Kräfte, sie weiß von schwarzen Löchern, von parallelen Universen oder anderen Zeitzyklen. Autoren wie Robert B. Laughlin, Roger Penrose oder Lee Smolin helfen ihrer Bildwelt gelegentlich auf die Sprünge. Ihr Gatte, der Privatgelehrte Paul William Bell, versorgt sie ständig mit entsprechenden Diskursen. Die solchermaßen generierten Visionen sind keineswegs esoterische Weicheier, sondern Übersetzungen ins Irdische, bzw. handfeste Formen, die nicht darauf angewiesen sind, ihren schweifenden Theoremen Punkt für Punkt zu folgen. Der Titel eines Projekts von 1981 dürfte heute im weitesten Sinne noch für die Arbeit von Victoria Bell gelten: „Science Museum“. Wenn sie zeichnet, kommt ohnehin das Problem hinzu, den Raum in die Fläche zu zwingen. Das geschieht gelegentlich mit einem irritierenden optischen Knick, Grenzen deutet…