„Verlust der Debattenkultur“
Die Kunstszene und der Nahost-Konflikt – Eine Zusammenfassung
von Jürgen Raap
„Jetzt droht auch noch das Ende der Documenta“, orakelte die Journalistin Swantje Karich bereits nach den ersten beiden Rücktritten aus der sechsköpfigen Findungskommission zur Kür der künstlerischen Leitung der documenta 16 im Jahre 2027.1 Als erste hatte die israelische Künstlerin und Psychoanalytikerin Bracha Lichtenberg Ettinger am 10. November 2023 das Gremium verlassen. Ihrer Bitte, die Findungskommission möge wegen der aktuellen Ereignisse im Nahen Osten einen Moment „innehalten“, folgten die anderen nämlich nicht. Nach dem brutalen Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 seien Flüge gestrichen worden. Ettinger habe daher an einer Tagung der Findungskommission „nur über Zoom“ teilnehmen können, „unter dem Beschuss von Raketen“. Dabei sei sie „wie gelähmt“ gewesen.2 „Die Documenta ließ sie in ihrer Trauer allein“, rügte Swantje Karich daraufhin mangelndes Mitgefühl der anderen Kommissionsmitglieder.3
Zwei Tage später sah sich ebenfalls der indische Schriftsteller und Kurator Ranjit Hoskoté zum Rückzug aus der Findungskommission veranlasst. Er hatte 2019 ein Statement unterzeichnet, über das der documenta-Geschäftsführer Andreas Hoffmann befand, dieser Text sei „aufgrund seiner explizit antisemitischen Inhalte nicht im Ansatz akzeptabel“. Als die Süddeutsche Zeitung über Hoskotés Signatur einen Medienwirbel entfachte und Hoffmann von dem Kurator eine „unmissverständliche Distanzierung von seiner Unterschrift bzw. den antisemitischen Inhalten des Statements“ verlangte, beklagte sich dieser in einem Brief an den „lieben Andreas“: „Über mich wurde mit Härte und Herablassung geschrieben,… in dieser vergifteten Atmosphäre“ sei „kein Platz für eine differenzierte Diskussion“, wenn von ihm verlangt werde, „eine pauschale und unhaltbare Definition von…