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Kommentar: Kulturpolitik · S. 369 - 369
Kommentar: Kulturpolitik , 1990

Jürgen Raap
Verlagerung

STANDORTQUALITÄT CONTRA HAUPTSTADTGELÜSTE

Wieder einmal scheint man sich darum zu bemühen, das Fell des Bären zu verteilen, bevor das Wild erlegt worden ist. Denn ob nun für das künftig konföderierte, föderierte oder sonstwie vereinigte Deutschland Berlin Hauptstadt oder nur Sitz des (Bundes-)Präsidenten sein soll, ist zum jetzigen Zeitpunkt eine tatsächlich müßige Frage. Davon abgesehen dürften sich die Sehnsüchte, Berlin möge um die Jahrtausendwende (oder noch etwas früher) eine ähnliche Bedeutung als Kulturmetropole, als geistiges Zentrum in Europa, ähnlich wie in den zwanziger Jahren erhalten, wohl erfüllen. Das garantiert schon allein die geopolitische Lage von Spree-Athen, auch die wirtschaftliche und sozio-kulturelle Potenz eines Ballungsraumes von rund fünf bis sechs Millionen Einwohnern mit künftig verbesserten infrastrukturellen Bindungen ins Umland. Überlegungen zur Einrichtung einer Kunstmesse auch in Berlin, gerüchteweise verbreitete Abwanderungsgelüste renommierter Galeristen (z.B. Rudolf Zwirner in Köln, dem man die Absicht einer Filialgründung nachsagt), belegen zumindest atmosphärisch die Tendenz zur Investitionsumlenkung, zur Verlagerung von Energien in die brandenburgische Streusandbüchse. Eine gründliche Renovierung der Ost-Berliner Museen durch westliche Kapitalzuschüsse erscheint im derzeitigen politischen Klima dringlicher als die schon zur Zeit von Willy Brandts Kanzlerschaft gewünschte Bundeskunsthalle in Bonn. Natürlich muß der Bonner Oberbürgermeister Hans Daniels (CDU) um 160 000 Arbeitsplätze für direkt oder indirekt Betroffene fürchten, wenn die rheinische Provinzstadt demnächst nicht mehr zu bieten hat, als daß es dort regnet oder die Eisenbahnschranken geschlossen sind (wie die Bonner selbst mit dieser Redewendung ihre Situation beschreiben). Natürlich folgt auch Norbert Blüm (ebenfalls CDU) als Spitzenkandidat für die NRW-Landtagswahl im Mai den Ratschlägen…


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