VITUS H. WEH
Verhaltensenklaven und Farbblasen
Zum Werk von Urs Frei
Das Betreten einer Installation von Urs Frei gleicht dem Erlebnis eines Autolenkers, der in ein anderes Land fährt: Floss der Verkehr gerade noch traumwandlerisch wie an Fäden gezogen, gerät er plötzlich aus dem Takt. Das sonst reibungslose Zeichenlesen stottert und man hört das Rufen unbekannter Schilder, Verkehrslinien und Lichter. Farbliche und formale Aspekte werden sichtbar, die sonst von pragmatischen Deutungen überblendet sind. Besonders die Ortstafeln, die Weg- und Warnweiser für Autobahnen, für National-, Bundes- oder Gemeindestraßen bieten wundersame Variationen: Als mächtige Flächen in Gelb, Blau und Grün leuchten sie attraktiv und buhlen um Beachtung. Jedes Land hat da seine Eigenheiten, und in der Dämmerung kommen die Farbnuancen der Scheinwerfer noch hinzu.
Was solche Grenzgänge im Straßenverkehr deutlich machen, ist die Allgegenwart von durch visuelle Systeme definierte Regel- und Verhaltensenklaven. Im Straßenverkehr definieren sich beispielsweise durch die Übereinkommen, die die Krümmungen und Abmessungen von Richtungspfeilen, von Leit-, Sperr- und Begrenzungslinien regeln (Bodenmarkierungsverordnung), und durch Gesetze, die die Rückstrahlwirkung, Größe, zulässigen Farbbereiche, Schriftzeichen usw. von Schilder festschreiben (Straßenverkehrszeichenverordnung – StVZVO).
Sozialtechnologien und visuelle Apparate sind auf diese Art vielerorts verknüpft. Und durchdesignte Vorstellungswelten entsprechen einer alten Praxis. Im Grunde basiert jeder Herrschafts- und Kultbau auf solchen visuell-psychologischen Konstruktionen. Der Unterschied zwischen einer Barockkirche und dem Straßenverkehr ist lediglich der, dass es in Kirchen heute mehrheitlich üblich ist, sich als Tourist von diesen Konstruktionen zu distanzieren und die jeweiligen Farb- und Formräume als solche ästhetisch zu genießen.
Um eine ähnliche Distanznahme geht es Urs Frei (Jg. 1958,…