Van Gogh an der Mauer
Die neue Malerei in Berlin – Tradition und Gegenwart
von Ernst Busche
Die schemenhafte Figur läuft leicht nach vorn gebeugt, den Hut ins Gesicht gezogen, schnellen Schrittes vor dem hohen, dichten Hintergrund entlang, Knie leicht eingewinkelt, Malutensilien auf dem Rücken, die Arme mal weiträumig vor- und zurückschlenkernd, mal die rechte Hand ein wenig grüblerisch ans Kinn genommen. Das grüne Gewand des Künstlers hebt sich ab vom weißlichen Gelb der Mauer, die nach rechts in den Raum zurückweicht und dem Blau von Himmel, Straße und Häuserwand Platz macht. Van Gogh, die Inkarnation des Expressionismus, aus dem sonnendurchglühten, lichtdurchfluteten Süden verpflanzt nach Berlin, vor das Symbol deutscher Realität: dieses Motiv, das Symbolwert besitzt für die jüngste malerische Situation an der Spree, hat Rainer Petting 1978 in einer Reihe von Gemälden durchgearbeitet. Als er in jenem Jahr nach New York fuhr, nahm er sein Motiv mit und ließ den Malerkollegen durch die Häuserschluchten Manhattans laufen, diesmal nach rechts, den Rücken dem Betrachter zugekehrt, so daß sein geringes Gepäck als Staffelei zu identifizieren ist; den Hintergrund bildet jetzt einer jener martialischen amerikanischen Trucks. Im Guggenheim Museum gab es zu jener Zeit eine große Mark-Rothko-Retrospektive, dessen schimmernde, leuchtende, glühende, sterbende Farbigkeit Petting in einer Vielzahl von Skizzenblättern durchspielte.
Van Gogh-Variationen: in den späten Fünfziger Jahren hat Francis Bacon, der existenzialistische Expressionist unserer Zeit, das Bild des Malers auf der Straße nach Tarascon, ein mehr psychologisches als realistisches Selbstporträt van Goghs, mehrfach abgewandelt; sein lockerer, fahriger Pinselduktus scheint sich in Fettings van Gogh wiederzufinden; Bacons…