Genf
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Musée d’art et d’histoire 28.01.–19.06.2022
von Heinz-Norbert Jocks
Die „Carte blanche“, die Marc-Olivier Wahler, der Direktor des Musée d’art et d’histoire in Genf, Jean-Hubert Martin erteilte, wurde von dem renommierten, in Paris lebenden Ausstellungsmacher auf wundersam gegengängige Weise gespielt. Angesichts der Rekontextualiserung, Verdichtung und Verpoetisierung der Sammlung, die Martin mit zurückerlangter Unschuld und weisem Sachverstand bewirkt hat, gerät der Besucher ins Staunen. Die komplette Etage „Präsenzsammlung“ wurde leergeräumt, und so stand ihm eine Ausstellungsfläche von 3.500 Quadratmetern zur Verfügung. Bespielt werden die Räume des Erdgeschosses und die Galerien im ersten Stock. Die einzige Auflage, der er sich zu fügen hatte, war, Stellwände zu vermeiden. Eine echte Herausforderung, die er dank seines Sinns für Räume zu meistern verstand. Zur Präsentation der Exponate griff er auf Staffeleien, Vitrinen und Möbel der Sammlung zurück.
Wie wenig sich sein passionierter Blick in die Depots, die er zwei Jahre lang an der Seite seines Co-Kurator Mattijs Visser durchstöberte, durch die Strenge kunsthistorischer Kategorien maßregeln lässt, wie unkonventionell seine für Zufälle offene Art des Sehens ohne Ufer ist, zeigt sich schon daran, dass für ihn berühmte Namen absolut kein Qualitätskriterium darstellen und es für ihn absolut keine Rolle spielt, ob die Objekte und Werke „anonym“ sind.
Martin erweist sich wieder einmal als begnadeter Meister der Zeitsprünge, der mit Leichtigkeit zwischen Vergangenheit und Gegenwart oszilliert, so, als herrsche statt ihrer Unterschiede Gleichzeitigkeit und Gleichberechtigung, sowie als ein Genotyp der wahren Globalisierung. Anstatt den Exponaten kulturelle Differenzen herauszukitzeln, kristallisiert er deren Analogien, Parallelen und Verwandtschaften heraus. Ob Papierarbeiten,…