Unvollendete Dissertation
“Unvollendete Dissertation” nennt der russische Künstler Boris Michailow sein neues Buch, das vor kurzem im Scalo Verlag Zürich erschienen ist. Er bezieht sich mit diesem Titel auf eine Aussage seines Künstlerkollegen Ilya Kabakow, der einmal gesagt hat, jeder Mensch solle “zumindest einmal im Leben eine Dissertation schreiben”. Wer aber einmal eine Dissertation geschrieben hat, weiß, wie schwer es ist, sie abzuschließen. Je mehr man sich mit dem Thema der Arbeit beschäftigt hat, um so unabschließbarer und bodenloser erscheint sie und um so unvollkommener muten die eigenen Thesen an. Michailow versucht einen Abschluß seiner Arbeit erst gar nicht, obwohl auch er – so verlangt es die Form des Buches – einen Anfang und ein Ende, also ein abgeschlossenes Etwas, präsentieren muß. Er entzieht sich der Strenge des abgeschlossenen Werkes, indem er seine Unabschließbarkeit zum Thema macht. Auf der letzten Seite seines Buches schreibt er: “Jetzt muß man die endlose Reflexion in ein starres Gestell einfügen, damit es einen Anfang und ein Ende gibt.” So schwierig und tiefsinnig, wie das Philosophieren über die notwendige Konkurrenz zwischen der Unabgeschlossenheit jedweden Zeichenprozesses, also unserer Werke, unseres Denkens, aller unser Verständigungen, und ihrer gleichzeitigen Abgeschlossenheit und Autarkie, ihrer Un-Vermitteltheit auch sein mag, Michailow spielt mit großer Leichtigkeit mit diesem Gedanken und löst das paradox erscheinende Problem pragmatisch. Der letzte Satz seines Werkes und damit das Ende seines Buches lautet: “Doch das ist manchmal ganz einfach, zum Beispiel endet das Buch mit Fotos vom Friedhof, obwohl ich noch lebe und schon wieder neue Bilder gemacht…