Ingo Arend
Unerträglich notwendig
Political correctness als europäische Hegemoniekrise.
Eine Kunsthistorikertagung in Bochum
Glaubt man den alarmierten deutschen Feuilletons, geht in Europa das Gespenst der politischen Korrektheit um. Alle Mächte des alten Europas scheinen zu einer heiligen Hetzjagd gegen dieses Gespenst entschlossen. Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, für empörte Ästheten und verstörte Professoren droht der abendländischen Kultur aus Kalifornien der tödliche Virus einer intellektuellen Tugenddiktatur.
Der Gedanke an quotierte Wissenschaft mit festen Lehrstühlen für lesbischen Feminismus oder “ethnic studies” wie schwarzafrikanische Philosophie mag uns zunächst befremden. Ebenso die Diskussion, ob Shakespeare ein weißer Rassist und Othello eigentlich ein Black Muslim gewesen ist. Zur Chiffre PC gehören auch die berüchtigten Sprachcodes, mit denen viele amerikanische Universitäten sensiblen Umgang mit bislang Unterprivilegierten verordnen wollen: Frauen, Behinderten, Homosexuellen. “Körperlich Herausgeforderter” heißt der verbindliche Code für bislang abschätzig als “behindert” Bezeichnete. Und die indianischen Ureinwohner rücken semantisch zur “first nation” auf.
Angesichts der sozialen Ächtungen bei Nichtbefolgen von Political Correctness schlüpft einem das Wort Agnes Hellers von der Gesinnungspolizei schnell von der Zunge. Doch eine Tagung des Kunsthistorischen Instituts der Ruhr-Universität Bochum zusammen mit dem Verein Situation Kunst – Haus Weitmar Anfang Juli in der Bochumer Uni sah in PC mehr als das übliche Zerrbild eines neuen McCarthyismus. Inzwischen kommen über 90 Prozent der amerikanischen Einwanderer nicht mehr aus Europa, sondern aus Asien und Lateinamerika. Das spricht für Claus Leggewie, der PC als berechtigten Kulturkampf deutet. Dahinter steckt der Versuch, Multikultur wirklich ernstzunehmen. Wer “politisch korrekt” redet, der schießt möglicherweise wenigstens nicht.
So abstrus einem mancher Kampf um den…