Maribel Königer
Ulrike Grossarth
»Parcours«
Barbara Gross Galerie, München, 16.5. – 29.6.1991
Kunst als Dressurakt – ein antiquiertes Verständnis aus Zeiten wie jenen, in denen die architektonische Anlage eines barocken Treppenhauses die Choreographie des absolutistischen Hofzeremoniells unterstützen sollte, heute allenfalls noch durch die ehrfürchtig geflüsterten Affirmationen der Besucher in den großen Gemäldegalerien hindurch spürbar. Nicht die Disziplinierung des Betrachters, sondern im Gegenteil seine Aufgeschlossenheit für die ungezügelte Suche nach neuen, adäquaten Ausdrucksformen wird inzwischen erwartet. Auch Ulrike Grossarth erteilt mit ihrer “LEKTIONEN” betitelten Mappe, bestehend aus 19 Fotokopien nach Kupferstichen des 18. Jahrhunderts, keine solchen, sondern ist an strukturellen und bildästhetischen Fragen interessiert. Die ausgewählten Blätter aus dem 46teiligen Graphikzyklus “Beschreibung der Schul- und Campagne-Pferde nach ihren Lektionen” von Johann Elias Riedinger hat die in Berlin arbeitende Künsterin so bearbeitet, daß das zentrale Motiv jedes Blattes, das in einer Übung unterwiesene Pferd und sein Trainer, verschwindet und nur der leere Bildraum, in dem die Dressur stattfand, zurückbleibt. Die erklärenden Bildunterschriften in Deutsch und Französisch ließ sie jedoch stehen. Daher meint der Besucher der Barbara Gross Galerie dennoch manchesmal wie nach Anweisung die Wände entlang zu “Trottoiren” oder während des Studiums der an vier Wänden eines Raumes gehängten Blätter eine Pirouette zu vollführen – instruiert von der Künstlerin oder, besser: von ihr am Zügel geführt. Doch abgesehen von diesem kuriosen Effekt unterwirft der “Parcours” der Ausstellung, den der Betrachter durchläuft, sich diesen keineswegs, sondern leitet ihn an verschiedenen Stationen vorbei, die alle versuchen, künstlerische und reale Wirklichkeit (oft im Wortsinn) begreifbar zu machen….