H. M. Emrich
Über wahrnehmendes Bewußtsein und das Fühlen
1. Einleitung
Die kognitiven Wissenschaften – Forschungsrichtungen, die sich derzeit interdisziplinär durch Zusammenfassung von Kognitionspsychologie, Neurobiologie, Neuropsychologie und Informatik entwickelt haben – stehen vor der Aufgabe, Grundprozesse mentalen Geschehens durch Beschreiben geeigneter Simulationen aufzuklären. Bei der Simulation von Gefühlszuständen steht man dabei vor der Eigentümlichkeit, daß bereits die Beschreibungsform dessen, was es heißt, Gefühle zu haben, unsicher ist. Denn das Fühlen spielt sich in einem Bezirk irreduziblen Selbstseins von Subjekten ab, das nicht in dem aufgeht, was seine Beschreibung – als kognitive Leistung – zu rekonstruieren versucht; d.h., Gefühle gehen nicht in dem auf, was wir über sie wissen und sagen können: Gefühle sind autochthon, in ihrem Selbstsein nicht erreichbar. Allerdings können wir uns über Gefühle in gewisser Weise insoweit verständigen, als Gefühle betrachtet, beschrieben und interpersonal (im Hinblick auf gemeinsame intentionale Gegenstände, z.B. Musik) verglichen werden können.
Im Folgenden soll nun versucht werden zu zeigen, inwieweit konstruktivistische Systemtheorien Grundphänomene von Gefühlszuständen zu erklären in der Lage sind und daß insbesondere die Randzonen von Kategorialität in der Wahrnehmung mit hoher Wahrscheinlichkeit diejenigen Bereiche innerhalb einer Systemtheorie des Mentalen darstellen, in denen Gefühlszustände generiert werden.
2. Konstruktivität von »wahrnehmendem Bewußtsein«
Im täglichen Leben geht man in der Regel von einem Weltbild aus, das häufig von Philosophen auch als “naiver Realismus” bezeichnet wird. Hierbei wird stillschweigend vorausgesetzt, die äußere Wirklichkeit sei exakt so strukturiert, wie wir sie wahrnehmen, ganz so, als ob es genügen würde, die Welt, “wie sie wirklich ist”, einfach mit einer Kamera abzufotografieren bzw. abzufilmen,…