Stefan Römer
Über-Leben
Bonner Kunstverein, 7.12.1993 – 6.2.1994
Schwarze Leichensäcke, mit offen klaffenden Reißverschlüssen, flankiert von Abschiedsbriefen. Selbstmord sei das einzige echte Problem der Philosophie, paradoxierte Albert Camus. In der Installation “Suicide Notes” von Erika Rothenberg referieren die letzten Kontaktobjekte, mit denen die Selbstmörder in Berührung kamen, auf gesellschaftliche Konventionen und implizieren deren tödliche Folgen.
Schädel, auf fleischfarbene Kugeln mit Gebissen reduziert, reizen den Betrachter angrinsend zu Ekelbekundungen. Rona Pondick häufte ihre mit “Treats” betitelte Arbeit auf den Boden.
Der Kuratorin Annelie Pohlen geht es in ihrer Ausstellung “Über-Leben” nicht nur um den Tod (z.B. durch AIDS), sondern um die “Existenzfrage” und “die Frage nach Schönheit” (vgl. das Interview im letzten KUNSTFORUM). Versteht man die “Existenzfrage” existentialistisch im Sartreschen Sinne, handelt es sich um die freie Entscheidung, aus der heraus sich der einzelne Mensch selbst schafft. Ein Ansatz, den Pohlens im Katalog vertretene Position ausschließt. Denn sie pendelt zwischen rein resignativem Kulturpessimismus sowie perspektivlosem Hang zur Apokalypse. Dadurch nivelliert sie diejenigen Unterscheidungen, die es ermöglichen, Entscheidungen zu treffen.
Fragwürdig erscheint mir, der Ausstellung einen Bonus einzuräumen. Welche Funktion soll eine solche Ausstellung haben, deren anspruchsvolles Thema die Möglichkeiten einer Ausstellung weit übersteigt? Und wie kann der einzelne Künstler den hohen Ansprüchen des gestellten Themas gerecht werden? Wohin würde es führen, anläßlich von “Über-Leben” in die (modische) Sensualismusdebatte einzustimmen, nachdem angeblich dialektische Codes wie affirmativ/kritisch oder gut/böse von einem Anspruch auf Attraktion, d.h. dem Muster geil/langweilig, abgelöst wurden. Dieser Theorie folgend: Schafft die Ausstellung es nicht, scharenweise Touristenströme anzulocken, gilt sie in der nach Besucherzahlen bewertenden…