Christoph Klimke
Über die Heiligkeit der Körper und Dinge
Pasolini, der Zeichner und Maler
Oktober 1975. Der 25-jährige Photograph Dino Pedriali erhält einen Anruf von Pier Paolo Pasolini, er wolle mit ihm zusammenarbeiten. Die beiden treffen sich und fahren von Rom hinaus zum Turm von Chia, der neuen Arbeitsstätte des italienischen Schriftstellers, Regisseurs und Zeichners. Pasolini arbeitet an “Petrolio”1 und neuen Film-Projekten.Wie in all seinen Arbeiten, Erfolgen, Irrtümern, Utopien und Niederlagen geht es auch jetzt um sein Thema: die Wahrheit, der Körper, der Fremde. Es entstehen mehrere Photozyklen, “Der Ort, an dem er gern gelebt hätte”, “Roberto Longhi”, Pasolini beim Zeichnen und Malen, Sabaudia und zwei Akt-Photoserien bei Tag und bei Nacht. Pasolini inszeniert: Pedriali photographiert ihn von draußen. Die Bäume spiegeln sich im Fenster. Drinnen ein Mann auf dem Bett, nackt, bekleidet nur mit einem Buch.
Mit diesen Photos, die wenige Wochen später nach der Ermordung Pasolinis im Auftrag seiner engsten Weggefährten von Laura Betti bis Alberto Moravia vernichtet werden sollten, wollte Pasolini provozieren; aber nicht aus künstlerischem Narzißmus, sondern aus der Motivation, die sein Gesamtwerk mit ausmacht: den Menschen zu beunruhigen, denn Wahrheit macht unruhig. Man versteht Pasolini nur in seiner Gesamtheit: das Schreiben von Lyrik, Prosa, Dramatik, Essays, Polemiken, die Filmarbeit, der politische Kampf galt dem Anderen, dem Fremden, Fremdbestimmten,Vergewaltigten, dem Individuum, das in der gesellschaftlichen Maschinerie, die nicht mehr der Moderne, sondern einer gleichmachenden Mode dient, seine Zwangsjacke zu tragen hat oder zugrunde geht. Bei wachsendem Wissen wachsen die Zwänge, Pasolini plädiert für mehr Glauben auch in der und…