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Titel: Über den Genius Loci · S. 38 - 59
Titel: Über den Genius Loci , 1984

Über den Genius Loci

Architektonische Gestaltungen einer antik-römischen Idee
von Jan Pieper

Die lateinische Aura des Genius Loci läßt schon vermuten, daß wir hier eher ein Sujet der klassischen Poesie behandeln als ein Objekt der Theorie, daß der Genius Loci mehr eine metaphorische Umschreibung ist als ein Begriff. Aber dennoch hat die beflügelnde Bezeichnung im Instrumentarium des Architekturtheoretikers einen historisch wie begrifflich präzis zu beschreibenden Platz, auch wenn der allgemeine Sprachgebrauch dies zunächst kaum nahelegt.

Für Isidor von Sevilla ist der Genius Loci noch ein echter Gott, wie etwa Amor, den er in seiner Schrift “Etymologia oder die Ursprünge” zum Genius des Locus Amoenus macht, zum Genius des idyllischen Ortes der klassischen Literatur. 1

Bei Sir Walter Scott dagegen steckt der Genius Loci der alptraumhaften Buchhandlung seiner Novelle “The Antiquary” in einer großen, schwarzen Katze, von der es heißt, daß sie auf den Trümmern der alten Bücher und Folianten thronte, wie Marius auf den Ruinen von Karthago.2

Und für Alexander Pope – um noch einen dritten Klassiker herauszugreifen – ist der Genius Loci eine ganz und gar überindividuelle atmosphärische Qualität des Ortes, wenn er in der Epistel an Burlington der baulustigen Herrschaft rät:3

,,To built, to plant, whatever you intend
To rear the Column, or the Arch to bend

Consult the Genius of the Place in all;”

Auf diese Zeilen werden wir noch ausführlich zurückkommen, da sie die Genese des Genius Loci als Begriff der Architekturtheorie bezeichnen.

Zuvor jedoch werde ich versuchen, mich dem Komplex von zwei anderen Seiten her zu nähern, indem ich zum einen ein klassisches…

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