Türen zum Wunderbaren
12 Schlüsselmomente
von Paolo Bianchi
„Der Sinn des Staunens ist doch die Erfahrung, dass die Welt tiefer, großräumiger, geheimnisreicher ist, als es dem Alltagsverstand erscheint.“— Josef Pieper 1
Im Sturz hinab in das Kaninchenloch fliegt Alice im Wunderland an Seitenwänden aus lauter Bücherregalen und Wandschränken mit allerlei Kuriositäten vorbei. Im Fallen ergreift sie sogar noch aus einem der Regale ein Töpfchen „Orangenmarmelade“. Der Mensch ist zum Staunen fähig dank seiner Offenheit, Durchlässigkeit Aufmerksamkeit, auch durch sein Unterscheidungsvermögen, seine Aufgewecktheit und Neugier. Besonders bestimmend ist gerade diese forschende Neugier, die den Menschen zu einem Staunenden an und in der Welt macht. Es herrscht schliesslich kein Mangel an Staunenswertem. Sowohl das Naturphänomen des Regenbogens oben am Himmel als auch die erstaunlichen Gegenstände in einer Wunderkammer stiften eine ästhetische Erfahrung von Sinnlichkeit und Irritation. Im Augenblick des Staunens fällt das Ich mit der Welt in eins.
„manche kommen aus dem staunen nie heraus manche nie hinein.“— Elfriede Gerstl 2
Zu staunen heisst, die Zeit anhalten, verweilen und genießen, sich der plötzlich offenbarenden Kraft eines Moments oder einer Sache hingeben, einen Augenblick mit grosser Intensität wahrnehmen, darin Momente des Glücks und der Freude erfahren. Zu spüren, dass alle Sinne elektrisiert sind. Zu erleben, dass ein emotionales Ergriffensein einen – beinahe schon ek statisch – überrascht. Andererseits gilt: Wer nicht mehr staunen kann, dem ist die Freude an der Welt verlustig gegangen. Einzig ein staunender Blick erkennt das Unerwartbare im Erwarteten, das Befremdliche im Vertrauten, das Rebellische in der Ordnung, das Un-, ja das Außergewöhnliche im Gewöhnlichen.