Amine Haase
Trugbilder, Abwesenheit und Todeslust
Der Körper als Leitmotiv der Biennale Venedig
Drei Ansätze zur Auseinandersetzung mit Jean Clairs Thema
Der künstlerische Leiter der Biennale Venedig, der Franzose Jean Clair, hat die Feier zum 100. Geburtstag dieser traditionsreichen Ausstellung unter das Motto gestellt “Identità e Alterità”, was man annähernd mit “Identität und Anderssein” oder “Identität und Verschiedenheit” übersetzen könnte. Diese Sonderausstellung, die allerdings auf drei Orte verteilt ist (den Palazzo Grassi, das Museo Correr und den italienischen Pavillon in den Giardini), geht hundert Jahren Geschichte des menschlichen Körpers nach: Ein bild- und thesenreicher Versuch, die “condition humaine” einzukreisen. Das vorgegebene Thema strahlt auf die in den einzelnen Länder-Pavillons ausgestellte Kunst aus und lenkt den Blick: Die alte Debatte über Wirklichkeit und Abbild, über Realismus und Abstraktion wird wieder aufgenommen. Selbst die historische Ausstellung zu 100 Jahren Biennale im Palazzo Ducale gerät in den Sog des Körperlichen: Eine Geschichte der Geschmackswandlungen ist immer auch eine Geschichte des Menschen und seiner Be- oder Entkleidung. In drei unterschiedlich gewichteten Kapiteln soll dem Blick auf “Identität und Anderssein” des kunst-zentrierten Menschen nachgegangen werden.
1. Der Spiegel zeigt nur ein Trugbild
Mißverständnisse und Irrleitungen in der zentralen Schau
Die Biennale-Ausstellung “Identität und Anderssein” ist der dritte Teil einer Art Fortsetzungsroman. Begonnen hat er in Wien 1989, als Jean Clair an “einer Geschichte der modernen Seele”, genannt “Wunderblock”, mitarbeitete. 1993 stellte der Museumsmann zusammen mit dem Neuro-Biologen Jean-Pierre Changeux in Paris “L’âme au corps” vor, eine Begegnung der Künste und der Wissenschaften. Und jetzt also, alleinverantwortlich, die venezianische “Identità e…