Jürg Laederach
Treffer im Holz
W.S. Burroughs, der Grosse Techniker der Halluzination
Als William Seward Burroughs 1959 sein enzyklopädisches Opiat-Panoptikum »Naked Lunch« veröffentlichte, wurde dem Roman von der amerikanischen Kritik entjungfernde Wirkung zugeschrieben. An den Acid-Szenen, den Homosexualitäts-Exzessen, dem politischen Linksertum (das jederzeit nach brandrechts ausschlug) konnte die Burroughssche Devirginalisierungs-Kapazität nicht allein liegen. Der ästhetische Schock kam durch eine technisch ausgefeilte Kombination aller Momente des Anstoßes zustande. Der – nur in der Thematik faßbare – rüde Infantilismus seiner Wunschvorstellungen sowie die rabiate Direttissima hin zu ihrer Erfüllung (auf Mord, Fick, Nadel, Kohle lief’s hinaus) verstellten den Blick auf die distanzierte, ausgenüchterte Kunstfertigkeit, womit diese Bilder montiert wurden. W.S. Burroughs ist einer der großen Techniker der Halluzination, der erweiterte Blick fällt mit der Fähigkeit zu seiner realistischen Darstellung zusammen. Mehr noch: die Halluzination wird gleich auch dem Roman dienstbar gemacht, darüber hinaus einer umfangreichen Kunstproduktion ausufernder Inhalte und spiralig strenger Form. Thomas Pynchon liegt um die Ecke, Hieronymus Bosch wohnt im ersten Stock, und John le Carré würde es nicht für möglich halten.
“Ferne Stimmen, die sich wiederholen wie auf wie auf einer Endlosschleife, er sieht jetzt aus wie der junge Einbrecher, unten an der Brewer Street … es wird gerade Abend, er entdeckt eine Tür, die nicht abgeschlossen ist, er geht hinein, zwischen den Holzbänken hindurch, jetzt ruft er etwas … in einer weichen Überblendung sehe ich ihn noch einige Jahre früher, ganz deutlich ist er zu erkennen als der Ladenjunge, der vor der Tür stand und leise sagte: ‘Mir ist gerade was…