Amine Haase
Tous les savoirs du monde
Neue Bibliothèque Nationale de France und alte Bibliothèque Nationale de France, 20.12.1996 – 6.4.1997
Kann man sich zur Eröffnung einer supermodernen Bibliothek ein schöneres Ausstellungsthema vorstellen als eines, das “alles Wissen der Welt” vereinen möchte? Die Franzosen, die soeben einen Teil der Lese- und Veranstaltungsräume der Bibliothèque Nationale de France (BNF) am östlichen Pariser Seine-Ufer eröffnet haben, setzen “Wissen” sogar in den Plural – “tous les savoirs du monde”.
Gemeint ist, in der Bibliotheks-Sprache, die Enzyklopädie. Und das ist gar nicht papieren.
Tatsächlich kann man sich kaum eine schönere Hommage an die Weisheiten der Vergangenheit vorstellen als dieses versammelte Wissen, das jetzt in der mit futuristischer Zuversicht technisch hochgerüsteten Bibliothek vorgetragen wird. Aus Gründen ausgleichender Gerechtigkeit ist ein zweiter Ausstellungsteil in der alten Nationalbibliothek an der Rue de Richelieu zu sehen: Die Mirabilien, die Wunderdinge, die alles Wissen anschaulich und greifbar machen.
Die Doppelausstellung vermittelt vielseitige Kenntnisse und räumt der Vergangenheit den ihr gebührenden Platz in der Zukunft ein. Darüber hinaus ist sie auch, dank der “fröhlichen Wissenschaft” ihres Konzepts, ein Zeugnis multikultureller Urbanität. Speziell beim Durchwandern der Geisteswelten in der neuen Bibliothek wird die Verknüpfung abendländischer Philosophie, christlichen Gedankenguts, arabischer Wissenschaft und asiatischer Weisheit so deutlich, wie wir es im vielfarbigen Alltag unserer Vielvölker-Städte kaum wahrhaben wollen: eine Lektion im Miteinander.
Ein Stückchen Irrsinn steckt natürlich in der Anhäufung von so viel Sinn in Zeit und Raum – seit Erfindung der Schrift in Sumer um 2900 v. Chr. bis zu den Codes im “Global Village” des 21. Jahrhunderts….