Amine Haase
Tizian
»Spuren eines Zeitwandels – Zum Fünfhundertsten Geburtstag«
Palazzo Ducale, Appartamento del Doge, Venedig, 1.6. – 7.10.1990
anschließend: National Gallery, Washington
Tizian, der Malerfürst, der Maler der Maler – wie kann man 1990 seinen fünfhundertsten Geburtstag feiern? 1990, am Ende eines Jahrhunderts, das die Kultur wie nie zuvor zum Phänomen eines Massentourismus gemacht hat, vor dem die einzelnen Kunstwerke inzwischen mit allen Mitteln geschützt werden müssen. Diesen Erkenntnissen entsprechend ist die Tizian-Feier – natürlich in Venedig, wo der Maler seit seinen Lehrjahren, mit kaum mehr als zehn Jahren, arbeitete – recht klein, gemessen an dem immensen Werk. Aber genau das macht den Charme und die Überzeugungskraft der Ausstellung im Dogenpalast aus. Die knapp achtzig Bilder lassen Tizian als venezianischen Maler par excellence erkennen. Und die Hängung, die eher ästhetischen Regeln der Raumdisposition im piano nobile des Dogenpalasts zu folgen scheint als kunsthistorischer Lehre, selbst diese unorthodoxe Art der Präsentation macht die Meisterschaft Tizians sichtbar – egal in welcher Phase seines Kunstschaffens: als gelehriger Schüler von Giovanni Bellini, als einfühlsamer Freund – und Konkurrent – von Giorgione, als Porträtist der Dogen, als Auftragnehmer der Kirche und der Fürstenhäuser von Venedig, Mantua, Urbino.
Daß Tizian der Maler Karls V. und nach dessen Rückzug ins Kloster, übergangslos, der Philipps II. war, ist der Ausstellung so nicht zu entnehmen. Aber das ist vielleicht gar kein Fehler – angesichts der stets wiederholten Anekdoten um die Beziehungen zwischen Kaiser und Maler: von ihrem Treffen in Augsburg, den angemahnten Bildern, der reklamierten Bezahlung – bis hin zu dem heruntergefallenen…