Claudia Wahjudi
Tino Sehgal
Martin-Gropius-Bau, Berlin, 28.6. – 8.8.2015; Haus der Berliner Festspiele, 28.6. – 5.7.2015
Um es vorwegzunehmen: Hätte Tino Sehgal das Stück „This Progress“ in den Mittelpunkt seiner Werkschau gerückt, seine Kritiker hätten Recht behalten, allen voran der bekannte Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich. Kurz bevor Ende Juni Sehgals erste institutionelle Einzelausstellung an seinem Wohnort Berlin eröffnete, druckte die Kunstzeitschrift „art“ auf vier Seiten weit vorn einen Essay von Ullrich, der Sehgals Konzept überholt nennt – das von einer objektfreien Kunst, die von Inszenierungen mit Tänzern, Sprechern, Museumspersonal und Laien lebt. Anders als 2005 im Deutschen Pavillon der Venedig-Biennale könnten diese Inszenierungen heute nicht mehr überraschen: Nach vielen Aufführungen weltweit habe sich das Gefühl verflüchtigt, „einen glücklichen Moment – einen Kairos – erleben zu dürfen“, schreibt Ullrich. Sehgals „Verzicht auf Fixierung und Reproduktion“ habe so sehr die Verheißung geweckt, „endlich könne sich die Aura der Kunst (…) erleben lassen, ja endlich sei da etwas, das beliebiger Verfügbarkeit entzogen ist und den Charakter eines Geschenks besitzt, dass jede auch nur annähernde Wiederholung dieses Werkprinzips schon als Manko erscheint.“
Abgesehen davon, dass Ullrich hier nicht im Sinne eines lokalen Publikums argumentiert, das erstmals einen Überblick über Sehgals Arbeiten erhielt, sondern aus der Perspektive eines vielreisenden Fachmanns, der Sehgals „Live Art“ womöglich auch im Londoner Tate Modern oder im New Yorker Guggenheim gesehen hat, und nun im Amsterdamer Stedelijk-Museum, das 2015 über zwölf Monate 16 Stücke des Künstlers nacheinander aufführt – abgesehen davon, trifft Ullrichs Kritik auf jenen Teil der Werkschau zu, der im Haus der…