Doris v. Drathen
Tinguely
Centre Pompidou, 6.12.1988-27.3,1989
Wenn er am Mittelmeer stehe, vergesse er völlig die Existenz eines “gewissen Tinguely”, erzählte Tinguely in einem Interview Ende der 60er Jahre, dann habe er andere Bilder im Kopf – Apfel, Fisch, Meer, Wind, Segel, Salz…
Für seine Méta-Maschinen aber brauche er die motorisierte, automatisierte nordische Welt, aus deren Schrotthalden seine Skulpturen kommen und deren Fortschrittglauben er untergraben will.
Tinguelys Anti-Maschinen (“Meine Maschinen haben keine Funktion, keinen Nutzen, keinen Sinn”), seine Anti-Kunst (“Revolte ist Kunst – Attentat ist die schönste Funktion der Kunst”), seine Technik-Mystik (“Wenn ich einen Elektromotor verstehen wollte, so ginge ich zu einer Wahrsagerin”) schockieren allerdings niemanden mehr, die Anti-Ästhetik ist längst zur gewohnten Ästhetik geworden. Niemanden scheint das zu stören – am wenigsten Tinguely selbst, der sich allergrößter Popularität erfreut und unter den Presseleuten unbefangen Reihenfolgen aufstellt – in Venedig zur großen Sommerretrospektive 87, in Paris zur großen Winterretrospektive 88/89. Das waren andere Zeiten, als er 1960 seine Forderung: “Kunst muß ephemer wie eine Sternschnuppe sein” einlöste und im Innenhof des Museum of Modem Art seine große Maschine “Hommage à New York” anwarf, auf daß sie sich unter Explosionen und Getöse vor dem erstaunten Publikum selbst zerstörte.
Mehrmals wiederholte er noch den Coup, in Kopenhagen und in der Wüste Nevada, nannte die Maschinen
“Studie für ein Ende der Welt”. 1970 erregte er wieder Aufsehen, diesmal mit einem haushohen goldenen Phallus, den er vor dem Mailänder Dom aufbaute: Nächtens versprühte die Skulptur eine goldene Feuerwerkfontäne, sank in sich zusammen und verbrannte.
Happenings waren sein Markenzeichen geworden -…