Tiefer hängen
Er will alles auf einmal. Wolfgang Ullrich möchte die Kunst “tiefer hängen” und gleichzeitig die Berufsehre von Künstlern und Künstlerinnen retten. Der Kunsthistoriker und Unternehmensberater appelliert an Rezipienten, sich der Kunst, welche die Museen, Sammler und Kritiker immer wieder neu Ehrfurcht einflößend präsentieren, mit weniger Respekt zu nähern. Junge Produzenten dagegen fordert er auf, ihre ganze Arbeitszeit konsequent mit Ernst und Würde ihrem Werk zu widmen. Beides zugleich aber ist gegenwärtig nicht zu haben.
Ullrich, bis 2003 Dozent an der Münchner Akademie, nimmt den jüngsten Anschluss der Kunst an Wissenschaft oder Wirtschaft, der die Türen ihres Elfenbeinturms geöffnet hat, zum Anlass, ihre hohe Wertschätzung in Frage zu stellen. Denn der Preis für diese ist nicht minder hoch: Betrachter kapitulieren vor Werken und entwickeln Ressentiments; Künstler scheitern an Maßstäben, denen sie genügen zu müssen meinen. Ullrich hat sich daher eine konstruktive “Korrektur überzogener Ansprüche” vorgenommen, die “neue Perspektiven und interessante Detailansichten” zulasse. Und er hat sein Ziel erreicht – knapp und auf Umwegen.
Ullrich argumentiert in Schleifen und kehrt immer wieder zum Ausgangspunkt zurück. Denn “Tiefer hängen” versammelt überarbeitete, bereits veröffentlichte Vorträge und Artikel, die dasselbe Thema aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Der Autor überlegt sozusagen laut und fordert zur Diskussion auf. Den Einstieg erleichtert dabei das Arrangement der Texte: Sie beginnen mit der Ideengeschichte, in deren Lauf Philosophen und Dichter die Unterwerfung des Betrachters unter das Kunstobjekt forderten und der Kunst eine religiöse, revolutionäre oder gar kriegerische Funktion zuschrieben; sie enden bei Fragen, die der Autor aus seinen Beobachtungen an der Kunstakademie…