Reinhard Ermen
Thomas Schütte (Figur)
Hamburger Kunsthalle, 26.5. – 26.6.1994
Württembergischer Kunstverein Stuttgart, 3.9. – 16.10.1994
Allerspätestens seit der Werkgruppe “Die Fremden”, 1992 für die documenta, war offensichtlich, daß das menschliche Abbild nicht nur Begleiterscheinung, sondern ein zentrales Problem in der Arbeit von Thomas Schütte (Jg. 1954) ist. Dem trugen die Hamburger Kunsthalle und der Württembergische Kunstverein Stuttgart jetzt Rechnung und präsentierten in zwei, nicht ganz identischen Ausstellungen: THOMAS SCHÜTTE FIGUR. Die Übersicht umfaßt einen Zeitraum von 1980 bis in die unmittelbare Gegenwart.
Naturgemäß nehmen “Die Fremden” in dieser Präsentation eine bevorzugte Stellung ein. Waren sie während der DOCUMENTA IX auf dem Portikus des Roten Palais in der Distanz nur mit den Augen greifbar, so zeigen sie sich jetzt in Stuttgart am Eingang des großen Vierecksaals fast auf ebener Erde. Sie haben sich dem Betrachter im unmittelbaren körperlichen Gegenüber auf das Größenverhältnis 1:1 genähert: glasierte Terrakotta, mit einer materialverliebten, trotzdem rauhbeinigen Akuratesse in Form gebracht. Zu sehen ist eine figürliche Anmut, die von der Volkskunst genauso erfüllt ist wie von der hehren Bildhauer-Tradition des 20. Jahrhunderts, für die Schüttes kluger Apologet Martin Hentschel mit Namen wie Barlach, Kollwitz und Schlemmer beispringt. Darüber hinaus ist das vielteilige Bildwerk (im Stuttgarter Exponatenverzeichnis sind 21 Teile, darunter 8 Figuren sowie “Vasen und Säcke” genannt) Reaktion auf den neuen, unrühmlichen deutschen Fremdenhaß. Schütte wirbt für die Anderen, die in stiller Vornehmheit, mit niedergeschlagenen Augen darauf warten, eingelassen, bzw. angenommen zu werden. Auf diesen offensichtlichen Appell der figuralen Zeichen (Thomas Schütte als kunstgeschichtlich und politisch hellwacher Kopf) würden…