Thomas Raff
Die Sprache der Materialien
Thomas Raffs “Anleitung zu einer Ikonologie der Werkstoffe” – so der Untertitel der Publikation – entstand als Habilitationsschrift, die 1991 von der Philosophischen Fakultät der Universität Augsburg angenommen wurde. Dies erstaunt, da eine Habilitation ja in der Regel sowohl inhaltlich als auch methodisch neue Einsichten zum gewählten Thema liefern sollte. Und daß die Bedeutung der Ma- terialien, also der Stoffe, aus dem die Werke bildender Kunst gemacht sind, nicht längst in umfassender Form im Bereich der kunsthistorischen Forschung untersucht worden sein sollen, erscheint zunächst als unglaublich kühne Unterstellung eines propädeutischen Versäumnisses.
Doch die ungläubige Frage kontert Raff gleich zu Beginn seiner Studie mit einer These zu den Wurzeln dieses faktischen Defizits der Kunstgeschichte: “Offensichtlich empfand diese traditionell stilgeschichtlich, form-analytisch und normativ orientierte “Geistes”- Wissenschaft das Nachdenken über die Materialien der Kunstwerke als eine untergeordnete oder gar unwürdige Tätigkeit.” Und Raff schildert weiter, daß sich in der Vergangenheit eher Theologen, Mediävisten und Volkskundler mit der “Sprache der Materialien” auseinandergesetzt haben, während sie von Kunsthistorikern erst seit ca. 25 Jahren verstärkt wahrgenommen wird.
Diese also recht junge Problematisierung der Materialsprache fand bisher außerdem überwiegend unter der verengenden Fragestellung nach der materialgerechten Verwendung oder unter dem Gesichtspunkt zu vager bzw. zu eindeutiger semantischer Verweise statt. Erst Noberto Gramaccinis Untersuchung zur “Ikonologie der Bronze im Mittelalter” (1987) und Wendy Stedman Sheards Aufsatz über “Verrocchios Medici-Grab und die Sprache der Materialien” (1992) haben verdeutlicht, daß auch die Materialbedeutungen einem zeitlichen Wandel unterliegen, der in der historischen Betrachtung zu einer enormen Vielschichtigkeit und Komplexität…