Micz Flor
The Internet’s completely over
„Die Geschichte ist eine Erfindung, zu der die Wirklichkeit ihre Materialien liefert. Aber sie ist keine beliebige Erfindung.“1
Das Interesse am Internet als politischem System oder Konstrukt ist dem Kunstbetrieb vollends abhanden gekommen. Während vor etwas mehr als zehn Jahren jede größere Ausstellung bis hin zur documenta 10 sich um Netzprojekte bereicherte, scheint das damals gespürte Potential sich nicht eingelöst zu haben. „The Internet’s completely over“,2 weiß auch Prince und entscheidet sich sein neues Album als Gratisbeilage bei ausgewählten Magazinen in Umlauf zu bringen. Unter ökonomischen Gesichtspunkten ist eher das Gegenteil anzunehmen: Aufgrund der freien Verbreitung von Musik über das Internet ist es nur logisch, Musik als Gratisbeilage zu verschenken. Die Geldquellen liegen woanders.
Ähnlich verhielt es sich mit dem Interesse des Kunstbetriebes am Internet in den 1990er Jahren. Es waren ökonomisch begründete Legitimationsprobleme der Kunst, die die Aufmerksamkeit für das Internet bestärkten und wenige Jahre später das Ende einläuteten, als der Kunstmarkt sich wieder aufheizte. In den Jahren dazwischen lassen sich eine Reihe von Missverständnissen und Sollbruchstellen aufzeigen, die der Verbindung von Kunstbetrieb und Netzkultur immer wieder im Weg standen.
Politik als Strategie in der Krise
Auf der Suche nach politischer Legitimation hat sich der Kunstbetrieb in den 90er Jahren neuen Praktiken, Strukturen und Medien zugewandt. Das Internet spielte in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle, entstand hier doch scheinbar „eine neue Welt ästhetischer, sozialer und kultureller Möglichkeiten von Individuen und Gemeinschaften weltweit“,3 wie der brasilianische Künstler Eduardo Kac berichtete und aufforderte, „unter dem Glühen des Bildschirms zu lesen,…