Bernhard Schneider
The Boring Twenties
‘Von der Futuristischen zur Funktionellen Stadt – Planen und Bauen in Europa 1913 – 1932’, in der Akademie der Künste
Hier wird ein enzyklopädisches Lehrbuch der Modernen Bewegung(en) der 20er Jahre in Europa aufgeblättert, Seite für Seite zerschnippelt und auf graue Pappe gezogen. In einer Vollständigkeit, die es nie vorher gegeben hat und nicht so schnell wieder geben wird.
Aber wozu?
Alles, alles wird gezeigt, erklärt wird nichts. Kein Zusammenhang, kein Zwiespalt. Als hätte es nie eine Bauhaus-Diskussion in Italien gegeben, nie die subtilen Interpretationen eines Giulio Carlo Argan, keinen Adorno, Bloch, Tafuri und viele andere, die sich die letzten 45 Jahre abmühten, Licht in die Sache zu bringen.
Jeder hat so seine Probleme mit den 20er Jahren, und da sie so tief in die Gegenwart ragen und weil sie fest in unseren Köpfen sitzen, ist jede Antwort wichtig. Also stürzt er sich sofort auf eine Ausstellung, die Ordnung verspricht, nämlich ‘Tendenzen’ sichtbar zu machen. Grob zusammengestellt könnten die Fragen, Hoffnungen und Probleme, die er dort hin trägt, etwa folgendermaßen aussehen:
Ambivalenzen
. Blut-und-Boden-Satz der Siedlungsideologie: Die ‘Gemeinschaft’ anstelle von großstädtisch-unmoralisch-entfremdeter Gesellschaft.
. Die Gruppe als Kontrolle und einziger Legitimationsrahmen der individuellen Existenz (Der Sozialist Taut!) HJ-Jargon der Verfolgten.
. Zweit- und drittrangige philosophische Grundlagen der ‘Organiker’ (z.B. Häring) – Deutsche Lebensphilosophie, die sie in Nachbarschaft zu Rosenbergs ‘Mythos des 20. Jahrhunderts’ bringt (1930)
. Auffallende ikonische Parallele zwischen den Volksmassen-Visionen (z.B. Luck-hardt ‘An die Freude’) und Reichsparteitags-Bildern, Speers ‘Lichtdome’.
. Ästhetischer Waschzwang: ‘Reinheit’ der Form – Reinheit der Rasse? Ästhetik als Disziplinierungsinstrument: Taut bedroht die…