Ingo Arend
Tempus Ritualis
Center of Contemporary Art, Warehouse B1,Thessaloniki, 28.6.2014 – 30.8.2014
Crisis. What Crisis? Wer in diesem Sommer nach Thessaloniki reist, fragt sich, wo eigentlich die vielbeschworene griechische Krise ist. Der Hellenen zweitgrößte Stadt boomt nicht nur wegen des Tourismus. Nobelboutiquen säumen die Boulevards der nordgriechischen Metropole am Thermaischen Golf. Man sollte nicht meinen, dass die Arbeitslosenrate bei knapp 30 Prozent liegt. So exzessiv wie die Bewohner der multikulturellen Metropole allabendlich die Rituale des globalisierten Consumer-Lifestyle ausleben: Shoppen, Essen, Flirten.
Auch in der kleinen Ausstellung im Hafen von Thessaloniki sieht man keine Krise. Es sei denn, man hält die Bilder, die die griechische Fotografin Lia Nalbantidou in das „Warehouse B1” gehängt hat, für deren Beweis. In ihrer Serie „Urban secret gardens” hat die Künstlerin aus Thessaloniki Schlafstellen von Obdachlosen, zum Treffpunkt umfunktionierte Baustellen oder Sitzecken in Fußgängerzonen zu einer bestimmten Zeit kurz vor dem Morgengrauen abgelichtet. Doch in dem Backsteingebäude, eine Art PS1 des Staatsmuseums für Zeitgenössische Kunst, das seinen Sitz in Thessaloniki hat, geht es gerade nicht darum, die verdrängten Schattenseiten der Krise in das von der Sommerhitze vernebelte Bewusstsein zu heben. Die vom Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen (IfA) unterstützte Schau fragt vielmehr, was aus ihr herausführen könnte.
„Tempus Ritualis” ist eines jener kleinen Kunst-Projekte, denen man oft mehr abgewinnen kann, als spektakulären Biennale-Manifestationen, weil man spürt, dass seine Macherinnen ein echtes Anliegen treibt. 2009, auf dem Höhepunkt der griechischen Staatskrise, das Feindbild Merkel grassierte, wollten die Berlin-Thessalonikier Künstlerinnen Christina Dimitriadis und Evanthia Tsantali einen anderen deutsch-griechischen Dialog initiieren – einen…