KLAUS HONNEF
TAGEBUCH
7. Folge
Montag, den 6. Mai
In Bielefeld tagt der Ausstellungs-Verbund. Thema der Sitzung die Ausstellung ‘Kunst und Reproduktion’. Das Konzept, besser: das Gerüst steht, jetzt sollen die Materialien dazu geliefert werden, damit die Schau konkrete Formen annehmen kann. Günter Aust hat sich um den historischen Teil gekümmert, Osterwold und ich um den aktuellen, der bis in die Medien Film und Fernsehen (das strenggenommen wohl nicht den technisch reproduzierten Kunstformen zugezählt werden kann) hineinreicht. Aust weist eine imponierende Materialfülle vor, die er übersichtlich gegliedert und auf historische und soziale Zusammenhänge befragt hat. Mich reizt das Thema immer mehr. Welche Probleme ergeben sich da? Ein Künstler wie Dürer bediente sich des damals avanciertesten technischen Mediums, des Holzschnitts, und erzielte damit , eine immense Verbreitung. Heute dagegen, wo die technischen Medien nahezu alle Bereiche des menschlichen Daseins durchdringen, stehen die Künstler abseits. Was hat sich verändert? Die Kunst, die Künstler oder die Gesellschaft? Dies muß geklärt werden, und die Ausstellung könnte es leisten. Ob allerdings alle hier mitziehen, zumal die Klärung mit einem erheblichen Aufwand von Arbeit verbunden ist, möchte ich bezweifeln.
Dienstag, den 7. Mai
Mein Vis-a-vis im Hotel liest die Bildzeitung. Die Schlagzeile gerät in mein Blickfeld; ich bin wie vom Schlag getroffen: ‘Brandt zurückgetreten’. Der Schmutz, mit dem man den Kanzler beworfen hat, von allen Seiten, und schwerlich kann sich davon jemand freisprechen, hat also seine Wirkung getan. Autorität hat man ihm bestritten, weil er seiner Autorität nicht dadurch Nachdruck verlieh, daß er auf den Tisch schlug. Führungsschwäche hat es geheißen….