Martin Blättner
Tadeusz Kantor (1915 – 1990)
»Leben im Werk«
Kunsthalle Nürnberg, 19.9. – 1.12.1996
»Es muß eher ein rebellischer, anfechtender, ein ketzerischer Geist gewesen sein, frei und tragisch, denn er wagte es, mit seinem LOS und seinem SCHICKSAL alleine zurechtzukommen.«
(Tadeusz Kantor)
Die Gruppe der verzweifelten Rebellen, die mit ungebrochenem Widerstandsgeist die tödlichen Kugeln der Soldaten Napoleons erwartet, wird in der so betitelten “Emballage nach einem Bild von Goya” (Originaltitel: “Die Erschießung der Aufständischen am 3. Mai 1808”, 1814) kopflos, körperlich ausgehöhlt und mit umgehängten Nummernschildern dargestellt: Das in Öl und in indischer Tusche auf Leinwand gemalte Bild irritiert mit Bedeutungen, die erst entschlüsselt werden müssen. “Emballage” ist ein solcher Schlüsselbegriff: Gemeint ist nicht die Verhüllungs-Ästhetik des Verpackungskünstlers Christo, sondern eher der symbolische Schutz vor Verletzungen des Menschen durch den Menschen. Dementsprechend demonstrieren die bildnerischen Geschöpfe Kantors nicht nur Erhabenheit in der Erniedrigung, vielmehr verschärfen diese als Trugbilder die kritische Spiegelung der Realität und brandmarken sie. Kantor protestierte bewußt mit Fälschungen und Mystifikationen – einerseits mit plastischen Objekten, die auch auf der Bühne zum Einsatz kamen, andererseits mit eigenständigen Bildern und Zeichnungen, die sich in der übergeordneten Einheit des spezifischen Raumbegriffs vereinigen. Der Phantasieraum des 1990 verstorbenen, polnisch-jüdischen Künstlers verklammerte darstellende und bildende Kunst: Eine Trennung des nicht wiederholbaren Improvisations-Theaters von den rein bildnerischen Werken – die in einer Ausstellung gezeigt werden – legt das Scheitern eines solchen Unternehmens nahe. Kantor selbst weigerte sich, die Kunst in Galerien, Museen oder im Theater einsperren zu lassen, die Kunst dürfe vom Leben nicht getrennt werden,…