Paris
Tacita Dean
Geography Biography
Bourse de Commerce Pinault Collection 24.05.–18.09.2023
von Uta M. Reindl
Bekanntlich war es die wachsende Skepsis gegenüber den wissenschaftlichen Fortschritten und die ebenso deutlich zunehmenden Wachstumseuphorie ihrer Epoche, die Romantiker*innen gerne mal mit mystischer, wie melancholischer Literatur und Bildkunst reagieren ließ. Und nicht erst seit gestern befasst sich die 1965 geborene Tacita Dean in ihrer Kunst mit ungewöhnlichen (Natur-)Phänomenen, privaten Utopien, sonderbaren Landschaften, weshalb sie in den 1990er Jahren bereits „romantische Wanderin“ genannt wurde. Das Prädikat dürfte zu ihrem jetzigen und ersten größeren institutionellen Auftritt in Frankreich seit zwanzig Jahren passen. Er steht im Kontext der seit dem 8. Februar 2023 von der Bourse de Commerce Pinault Collection veranstalteten Themenzyklus Vor dem Sturm – dessen Titel wohl kaum Zuversicht versprechen dürfte.
Auf einer überdimensionalen Tafel hat die britische Künstlerin mit Kreide die beängstigend zerklüftete, arktische Naturformation gezeichnet und gemalt, die unmissverständlich auf Das Eismeer (1823 / 1824) von Caspar David Friedrich anspielt und The Wreck of Hope (Das Wrack der Hoffnung) heißt. Damit verweist Dean unter anderem auf das gekenterte Schiff, das für das Gemälde des Romantikers bedeutsam war. Außer dem in der oberen Bildhälfte gekritzelten Bildtitel lässt sich inmitten der sich auftürmenden Schollen der handschriftlich notierte Name Salman Rushdie entziffern. Eine autobiographische Notiz der Künstlerin, die der schreckliche Messerangriff auf den britisch-indischen Schriftsteller im letzten Jahr während der Entstehung des Gemäldes bewegte, das darüber hinaus auf Vergänglichkeit sowie die aktuell global sich wandelnden Jahreszeiten verweisen will. Ganz konkret nämlich auf die einst vom ewigen Winter bestimmten und nun…