TABUS
< BLUT < KANNIBALISMUS
Der Kunsthistoriker Heinz Peter Schwerfel hat die Kunstskandale der vergangenen vierzig Jahre untersucht.1 Tenor seiner Darstellung: Heute zielen künstlerische Tabuverletzungen weniger auf den Schock, sondern mehr auf Unterhaltsamkeit. Den gegenwärtigen Kulturbetrieb prägt tatsächlich ein “Anything goes”-Begriff, der letztlich alles zulässt, weil ja auch die Gesamtgesellschaft sich daran gewöhnt hat, die intimsten Dinge an die Öffentlichkeit zu zerren, wie man es tagtäglich in diversen TV-Talkshows beobachten kann.
Anfeindungen von Kräften außerhalb des Kunstbetriebs erfahren die Künstler allerdings immer noch. Hermann Nitsch z.B. gilt mit seinem “Orgien-Mysterien-Theater” seit über dreißig Jahren als Bürgerschreck. Als er im November 1995 in der Kölner Trinitatiskirche seine “Fischaktion” aufführte und dabei zusammen mit seinen Helfern Tischtücher mit dem Saft von eigenhändig ausgepressten Tomaten und Trauben tränkte, Blut und Wein über Fischen und Fleischbrocken ausgoss, entsetzte sich das Boulevardblatt “Express”: “Ist das noch Kunst ? Blutorgie in Kölner Kirche!”2
Nitsch musste im August 1998 eigens eine Wach- und Schließgesellschaft beauftragen, um militante Tierschützer von seinem Prinzendorfer Sechstage-Spiel fern zu halten. Dabei hatte Nitsch vorher ausdrücklich betont, das Töten von Tieren während des Aktionsspiels fände nach den überlieferten handwerklichen Regeln für Hausschlachtungen statt.
Wenn Künstler den Volkszorn erregen und dann auch die Staatsanwälte aktiv werden, geschieht dies heutzutage sehr oft bei aktionistischen Kollisionen mit dem Tierschutzgedanken. Wie bei fast allen anderen Künstler-Prozessen berufen deren Anwälte sich dann in der Regel auf die grundgesetzlich verbriefte Freiheit der Kunst. Die Frage, ob auch der Tierschutz Verfassungsrang habe, ist bei diversen Verfahren gegen Künstler von den Gerichten allerdings unterschiedlich beantwortet worden.
1988…