Michael Hübl
Süße Würfel, weißes Rechteck
Von der semantischen Diabolik des Metabolismus und den neuen Bildern politischer Scheinheiligkeit
Welch wunderbare Wiedergutmachung – dieser von Dankbarkeit getragene Gedanke muss Kunsthistorikern, Theoretikern, Sammlern und allen Kunstfreunden reinen Herzens spontan in den Kopf steigen, sobald sie in den Schaufenstern der „Aida“-Filialen die jüngsten Kreationen dieses österreichischen Konditorei- und Kaffeehaus-Imperiums entdecken. Dass dort „Original Mozart Würfel Wien“ feilgeboten werden, dürfte der unternehmerischen Absicht zuzurechnen sein, musikalsentimentalistischen Touristen gewinnbringend den Großstadtaufenthalt zu versüßen und unersättlichen Vergangenheitsillusionären Nostalgie-Futter zu bieten. Gleiches gilt wohl für die „Original Johann Strauss Würfel Wien“ oder die „Original Sisi Sterne Wien“, bei denen bereits die Sprache der Produktbeschreibung zu pralinesken Qualitäten aufgeschäumt ist – versprochen wird eine „Füllung aus feinherber Canache-Creme, mit einem Hauch von Veilchen, umhüllt von edler Zartbitterschokolade als süße Hommage an die beliebte Kaiserin Elisabeth.“1 In die gleiche Kategorie fallen die „Original Gustav Klimt Würfel“. Auch wenn sie ohne den Zusatz „Wien“ auskommen müssen (vielleicht weil Klimt weder Kaiserin, noch Komponist, sondern bildender Künstler war) fügen sie sich doch auf das Edelste in ein konditorisches Konzept, bei dem Kultur und Zuckerguss amalgamiert, Kunst und Schokoglasur zu Synonymen werden. Klimt passt da bestens – zumindest sofern man den ambitionierten Neuerer auf die dekorativen Aspekte seines Werks reduziert und ihm damit die gleiche harmonisierende Ignoranz angedeihen lässt wie sie etwa an Mozart verübt wird, wenn man die Erinnerung an diesen Komponisten in schokoladenüberzogene Würfel, Taler oder Kugeln presst und somit eine Süßlichkeit suggeriert, die den Reibungen, Brüchen, Abgründen seiner Musik nicht im…