Peter Funken
Surreale Welten
Ein neues Museum in Berlin – die Sammlung Scharf-Gerstenberg
Wie keine andere Bewegung hat der Surrealismus die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts beeinflusst und dafür gesorgt, dass innerhalb ihrer Entwicklung jeglicher Individualismus, fast jede Form der Autonomie, der Tabubeseitigung und Grenzüberschreitung möglich wurde. André Breton, der „Papst“ der Bewegung, formulierte 1930 in seinem 2. Manifest, dass der Surrealismus „nichts so erstrebte, als in intellektueller und moralischer Hinsicht eine Bewusstseinskrise allgemeinster und schwerwiegenster Art auszulösen; und dass lediglich die Erreichung oder Nicht-Erreichung dieses Zieles über seinen geschichtlichen Erfolg oder Misserfolg zu entscheiden hat.“ Breton und seine Mitstreiter kämpften gegen die Faktizität alter Antinomien, und in der Fortschreibung radikaler Romantik äußert er: „Alles lässt uns glauben, dass es einen bestimmten geistigen Standort gibt, von dem aus Leben und Tod, Reales und Imaginäres, Vergangenes und Zukünftiges, Mitteilbares und Nicht-mitteilbares, Oben und unten nicht mehr als widersprüchlich empfunden werden. Indessen wird man in den Bemühungen des Surrealismus vergeblich einen anderen Beweggrund suchen als die Hoffnung, eben diesen Standort zu bestimmen.“ Als Breton mit Paul Eluard das 2. Manifest schrieb, befand sich der 34-jährige Poet in einer tiefen Krise, ausgelöst durch gescheiterte Liebesbeziehungen und aufgrund der massiven Angriffe durch ehemalige Mitstreiter wie Bataille, Desnos und Queneau, die seinen „Säuberungsaktionen“ vom Jahr 1929 zum Opfer gefallen waren. Für sie war er nur noch „un cadavre“. Dennoch waren die „Säuberungen“, die fast zeitgleich mit denen im Sowjet-Staat abliefen, eine Art von Purgatorium, die das surrealistische Schiff zwar zerteilten, aber seine Einzelteile flott machten und…