Siegen
Sung Tieu
Without Full Disclosure
Museum für Gegenwartskunst MGK 30.06.– 10.11.2024
von Thorsten Schneider
Without Full Disclosure / Ohne Offenlegung: Dieser Aktenvermerk markiert Informationen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Nun ist dies auch der Titel der Einzelausstellung der aktuellen Rubenspreisträgerin Sung Tieu (geb. 1987) im Museum für Gegenwartskunst Siegen. „In ihren Werken reflektiert sie die eigene Migrationserfahrung, die sich entlang der komplexen Bruchlinien von ehemaligem Ost-Westdeutschland und ihren jeweiligen Alliierten entfaltet. Doch verbleiben ihre Arbeiten nicht im Biografischen. Sie widmen sich den ideologischen, ökonomischen und sozialpolitischen Strukturen, die unser gesellschaftliches Zusammenleben bestimmen. Ihr Augenmerk liegt dabei auf den kritischen Infrastrukturen, die darüber entscheiden, wer und was Sichtbarkeit erlangt.“ Dies hob die Jury zur Begründung der Preisvergabe hervor. Mit anderen Worten gelingt es der Künstlerin eine äußerst komplexe künstlerische Darstellung für ihre kritische Gegenwartsdiagnose zu finden. Diese zielt auf das, was Michel Foucault als Gouvermentaltität der Gegenwart in theoretische Begriffe fasste: „eine komplexe Verbindung zwischen Techniken der Individualisierung und totalisierenden Verfahren.“
Im Ausstellungsraum liegen schwere Stahlrohre und rufen Assoziationen an kritische Infrastruktur der Gaspipelines hervor, die westlichen Industrienationen mit billiger Energie versorgen. Aus den Rohren sind Fieldrecordings von den Bodenvibrationen an verschiedenen Fracking-Standorten in den USA zu hören, die nun den Klang der abwesenden Energieproduktion im Museum spürbar machen. Was lange Zeit von Kunstkenner*innen rein formalästhetisch mit Werken der Minimal Art, Land Art oder Arte Povera in Verbindung gebracht worden wäre, lässt sich kaum mehr nur als Kunst betrachten. Darin kritische Infrastruktur zu erkennen heißt, die Erfahrung von Krieg und Gewalt in…