Nürnberg
Sung Tieu
One Thousand Times
Kunsthalle Nürnberg 09.03.–09.06.2024
von Martin Blättner
Wer in der Ästhetik der Minimal-Art, die in den 1970er Jahren in den USA entstanden ist, den gesellschaftlichen Kontext vermisst, wird bei der in Berlin lebenden Künstlerin Sung Tieu (* 1987 in Hai Duong, Vietnam) fündig. Ihre Installationen und Ready-mades sind mehrfach mit Inhalten aufgeladen, die Themen wie Migration und Identität, Bürokratie und Kontroll-Mechanismen behandeln. Doch der Eindruck von inhaltlicher Überfrachtung kommt gar nicht auf, weil sie diese Inhalte in ästhetische Ordnungssysteme einer systematischen Archivarbeit packt. In ihren Raumteilern aus Holz oder Stahl – die minimalistisch die Wohnsituation nachempfinden – platziert sie für Westler*innen eher befremdliche Ready-mades aus der ehemaligen DDR-Produktion (darunter Erzeugnisse aus dem Kombinat Elektromaschinenbau, Zähl- oder Schreibmaschinen, Radiogeräte oder Schuhe bis hin zu einem Keramik-Set), die zwischen den kubischen Installationen eine kühle Atmosphäre schaffen.
Das große Thema ihrer Ausstellung One Thousand Times (die in Zusammenarbeit mit dem Kunst Museum Winterthur entstanden ist) behandelt ein Kapitel deutscher Nachkriegs-Geschichte, das im Westen kaum bekannt ist. 1980 schlossen die DDR und die sozialistische Republik Vietnam ein Abkommen zur Anwerbung vietnamesischer Vertragsarbeiter*innen, um sie dann in den volkseigenen Betrieben der DDR einzusetzen. Es kamen schätzungsweise rund 60.000 vietnamesische Arbeiter*innen – nach der Wiedervereinigung war ihre Zukunft ungewiss. Vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Familiengeschichte lag es für Sung Tieu nahe, sich mit den Auswirkungen dieses Abkommens zu beschäftigen und die Plattenbau-Siedlung in der Gehrenseestraße 1 in Berlin zu verarbeiten, in der sie nach der Wende 1989 zu ihrer Mutter gekommen ist. Mit rund 1.000…