Sturm auf den Winterpalast: Forensik eines Bildes
HMKV, Dortmund 25.11.2017 – 08.04.2018
Gessnerallee Zürich 24.09. – 25.10.2017
von Max Glauner
Bedarf es für die gesellschaftspolitische Wirkmächtigkeit der Kunst noch eines Beweises? Eigentlich nein. Doch wer mit einer eindeutigen Einschätzung hadert, dem kommt zum Jubiläum der folgenreichsten Revolution des 20. Jahrhunderts, der russischen Oktoberrevolution 1917, die Ausstellung „Sturm auf den Winterpalast: Forensik eines Bildes“ der Kuratorinnen Inke Arns und Sylvia Sasse gerade recht. Denn sie erzählt nicht nur von der Oktoberrevolution und darf als ihre pointierteste Memorialveranstaltung im deutschsprachigen Raum gelten, sondern sie spricht allgemeiner von der Macht und Ohnmacht der Bilder, die seit jeher ein Eigenleben führen, das sich der Kontrolle ihrer Schöpfer per se entzieht.
Das Foto vom Sturm auf den Winterpalast gilt wie Grigori Goldsteins berühmtes Foto des agitierenden Lenin auf einer Holztribüne 1920, von der Leo Trotzki später wegretuschiert wird, als die Ikone der bolschewistischen Revolution: Die Kamera im Rücken stürmen uniformierte Soldaten mit Gewehren in der Rechten hinter einem Motorwagen auf eine barocke Schlossfassade zu – dem St. Petersburger Winterpalast. Rauch steigt auf und dramatisiert mit einer vom oberen Bildrand angeschnitten Triumph-Säule die Situation ins monumental-heroische.
Über nahezu ein Jahrhundert lang lieferte dieses Bild in Schul- und Geschichtsbüchern, in Magazinen, Drucken und nicht zuletzt im Internet millionenfach reproduziert den Brand zur Oktoberrevolution, der den Mythos einer revolutionären Massenbewegung bedient. Wie die Kuratorinnen der Ausstellung recherchierten – Inke Arns schrieb bereits 2016 im Kunstforum international darüber (siehe Band 240) – handelt es sich bei dem…