Silke Müller
Stephan Huber und Raimund Kummer
Nordbahnhof, Hamburg, ab 9.5.1994
Man muß sich keine große Mühe geben, um für einen stillgelegten Tunnelschacht malerische Assoziationen freizusetzen. Orpheus’ Unterwelt, geheimnisvolle Vernetzungen, schwarze Löcher und so weiter. Vielleicht sollte man sich disziplinieren, um das, was dort zu finden ist, nicht in ein narratives und vor allem dekoratives Konstrukt umzudeuten – denn die Gefahr besteht: Wer am Hamburger Hauptbahnhof in den Tunnel der U-Bahn-Linie U2 hinabfährt, blickt rechter Hand auf den funktional gekachelten, mit Neonröhren ausgeleuchteten Bahnsteig und linker Hand in die blau-metallisch schimmernde Tiefe der Skulptur bzw. Installation “Hauptbahnhof Nord” von Stephan Huber und Raimund Kummer1. Ein unerwarteter Reiz in der von Urin und Zugluft verschärften Tristesse.
Die Tunnelröhre ist zur Hälfte bis auf ihre Skelettkonstruktion freigelegt worden, so daß der Schacht als architektonisches Konstrukt sichtbar wird. Auf der Bahnsteigebene wurde ein Gitterrost eingezogen, auf dem rund 150 gußeiserne fünfzackige Sterne in drei Größenvariationen verteilt liegen. Von der einen Seite des Tunnels ergibt sich ein nahezu unendlich scheinender Blick in die Tiefe dieser unterirdischen Milchstraße, von der anderen Seite schieben sich blaue Glaselemente in Stahlhalterungen zu einem Filter zusammen, der die Aussicht bläulich verschwimmen läßt.
Kunst im öffentlichen Raum als Dekoration unwirtlicher Orte, als optischer Pausenfüller zwischen Autoschlangen, Orientierungspunkt zwischen Schilderwäldern und Werbeflächen – an Beispielen gibt es hierfür mehr als genug. Aber auch die Versuche, verwirrende Elemente einzuschleusen, den Ort zu paraphrasieren oder das gestalterische Negativ-Kapital der Stadtmöblierung mit denunziatorischer Absicht aufzugreifen, zu verdoppeln oder zu verschieben, erstarren oftmals in hilflosen Albernheiten.
Die Arbeit von Kummer/Huber…