Statt eines Interviews…
Gedankenaustausch zwischen Annelie Pohlen und Germano Celant
1.
Ich muß gestehen, Germano, daß ich während der Vorbereitung unseres Interviews1 in Genua, dem Werdegang einiger junger italienischer Künstler offener gegenüberstand als jetzt. Inzwischen kommt mir das, was einige unserer teuren Kollegen von sich geben, vor, wie das Gerede von Weibern, die immer auf der Lauer liegen, um als erste alles ‘Neue’ und ‘Wichtige’ zu wissen; die alles vergessen, was sie noch zwei Tage zuvor gesagt. Nur, es ist nicht die Schuld der Künstler.
Unter den Jungen bemerkt man eine Neigung zu verschlüsselter Malerei, zu autoerotischer und sinnlicher Subjektivität, die ausschließlich damit befaßt ist, in den Tiefen der Seele zu forschen, und die dafür das Handwerkszeug traditioneller Malerei benutzt. Ist dies resignierte Rückkehr zur Subjektivität angesichts der gescheiterten Revolte und der derzeitigen sozialen und politischen Lage oder eine konstruktive, kraftvolle Rückkehr zu den Quellen individueller Kreativität und konsequenterweise zu einer Kunst, die sich frei fühlt von jeglicher politischer und sozialen Verpflichtung?
Beide Möglichkeiten tendieren anscheinend gleicherweise zur “Rückkehr” zur Subjektivität, und unter Rückkehr versteht man im normalen Sprachgehrauch, daß man wieder an einen Ort geht, an dem man schon einmal war. In diesem Fall ist es die “Tradition”. Außerdem erlaubt das Zurückkehren, d. h., das rückwärtsgerichtete Sein, den ewigen Wechsel von Aufbau und Zerstörung; nach der Zerstörung setzt er an derselben Stelle wie vorher wieder ein. Dieses Ritual sieht das Aufeinanderfolgen von Vorhut (Avantgarde) und Nachhut wie unvereinbare Antithesen. Es gibt einen Bruch. Zudem ist die Nachhut der Spiegel der Vorhut und umgekehrt. Beide…