ANSELM CRÄMER
Spurensicherung
Archäologie und Erinnerung
Kunstverein in Hamburg, 6. April bis 19. Mai 1974
Spurensicherung’ ist als künstlerische Methode kaum sehr alt. Wer sonst von der Generation der Dreißigjährigen am Zug ist, beschäftigt sich entweder mit der Aufarbeitung von Erfahrungen des absoluten Augenblicks oder mit Wunschvorstellungen utopischer Zukunft. Das Hier und Jetzt aller Anstrengungen scheint Bedingung ihres Gewichts und ihrer Aktualität zu sein. Imperfekt, Perfekt und Plusquamperfekt gelten als disqualifizierte historische Nuancen.
Weniger im Protest gegen diese Positionen, eher in Auseinandersetzung mit ihnen gewinnt neuerdings eine künstlerische Reaktion Beachtung, die in modellhafter Rekonstruktion von Vergangenheiten den Sachwiderstand zu enträtseln hofft, welcher in der Gegenwart deren Veränderung entgegensteht.
Der rehabilitierten Suche nach der verlorenen Zeit und dem verlorenen Selbst taugen die bloß psychologischen Formen des Erinnerns im Bildrechteck so wenig wie progressive Medien mit ihrem Manipulationsdruck. Mehr versprechen archäologische und ethnologische Verfahren: Material sammeln, dokumentieren, fotografieren, nachbilden, rekonstruieren, aus Spuren schließen. Heterogene Stoffe helfen, das Vorurteil im ‘Werk’ voreilig gesetzter Zusammenhänge zu vermeiden.
Zum Thema haben Uwe M. Schneede und Günter Melken im Hamburger Kunstverein die Ausstellung ‘Spurensicherung’ organisiert und erläutert. Sechs Künstler haben je ein umfangreiches Projekt eingebracht und selbst arrangiert. In zwei spannenden Stunden kann man Dinge, Bilder und Texte eben flüchtig zur Kenntnis nehmen.
Nikolaus Lang benutzt die neuen Methoden bei weitem am radikalsten und konsequentesten. Ein Jahr lang hat er die Lebensspuren einer Familie von Einzelgängern verfolgt, die in der Nähe seines oberbayerischen Heimatdorfes wohnten und ihm aus seiner Jugend bekannt waren. Über 200 Fundstücke aus dem verfallenen Einödhof und dessen näherer Umgebung…