Soll das deutsch sein oder kann das weg?
Christoph Büchels „Deutsche Grammatik“
von Holger Kube Ventura
Zu den spektakulärsten Kunstprojekten der jüngeren Vergangenheit, die eine ganze Nation oder deren Kultur zu ihrem Sujet erklärten, gehörte die Ausstellung Deutsche Grammatik von Christoph Büchel (geboren 1966 in Basel) in der Kunsthalle Fridericianum in Kassel 2008. Dieser Weitwurf bestand aus einer Reihe von inszenierten Raumbildern, die als Kommentare zu oder Simulationen von Facetten der jüngeren Geschichte Deutschlands verstehbar waren. Wie wirkt die damalige Auswahl und Zusammenstellung von heute aus gesehen? Käme man rückblickend zu dem Schluss, dass dieses Projekt ein visionäres Porträt von „Deutschland“ gewesen ist? Erscheint die Art und Weise, wie Büchel damals Folgen der Wiedervereinigung aufgerufen oder problematisiert hat, heute in einem anderen Licht?
Deutsche Grammatik – die vielleicht größte Einzelausstellung, die jemals in Kassel zu sehen war – erstreckte sich über nahezu das gesamte Fridericianum sowie den davor liegenden Friedrichsplatz. Dessen parkähnliche Grünflächen waren untergepflügt, das Denkmal des Landgrafen Friedrich II. in einem haushohen Rundsilo verschwunden, und Güllewagen, Traktor und Tiertränke komplettierten das Bild eines landwirtschaftlichen Ackers mitten in der Stadt. Der Friedrichsplatz – im Kaiserreich und im Nationalsozialismus ein Ort militärischer Aufmärsche und Paraden – sah aus, als ob mit dem Bibelzitat „Schwerter zu Pflugscharen“, dem zentralen Slogan von Abrüstungsinitiativen und Friedensbewegungen in Ost- und Westdeutschland Ernst gemacht worden wäre. Und eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg war dabei offenbar auch noch aufgetaucht.
Das klassizistische Fridericianum, 1779 von Landgraf Friedrich II. als eines der ersten öffentlich zugänglichen Museen in Europa gegründet, war damals…