Report
Sizilien abseits der Manifesta
Ein Platz für Joseph
Der Traum von Gibellina als Stadt für eine ästhetische Gesellschaft und die Realität des Jahres 2018
von Michael Hübl
Ein riesiger Platz mitten in Sizilien. Leer. Sengende Sonne. Ein Platz wie für gewaltige Aufmärsche konzipiert. Seine Flanken sind mit etwa drei Meter hohen Wänden gefasst, die jeweils mit vier Mosaikfeldern versehen wurden. Am Kopfende der Anlage hockt breit die Betonkarkasse eines Gebäudes, das vor Jahr und Tag als Theater geplant war. Jetzt blicken die lanzettförmigen Öffnungen, die aussehen, als seien sie nie mit Fensterglas gefüllt gewesen, wie die toten Facettenaugen eines riesigen versteinerten Insekts auf das menschenleere Areal. Die Mosaiken an den Seiten des Platzes verkünden – kunstvoll arrangiert – pathetisch aufgeladene Botschaften. „La / rivoluzione / siamo / Noi“ steht da: „Die Revolution sind Wir“. Der Satz wird nicht nur durch das Ambiente relativiert: Parallel zu ihm ist auf die vier Felder die fatalistische Botschaft verteilt: „la / Vera / medicina / è l’eternità“, will sagen: „Die wahre Medizin ist die Ewigkeit“. Wie um diesen Aussagen nachgerade amtlichen Charakter zu verleihen, prangt auf der ersten Fläche die sorgsame Nachahmung eines kreisrunden Stempelabdrucks. Das deutsche Wort „Hauptstrom“ ist auf ihm zu lesen. Klar doch. Wir stehen auf der Piazza Joseph Beuys in Gibellina Nuova, Provinz Trapani.
Die Stadt entstammt einer Zeit, als man es mit dem Begriff „Utopie“ sprachlich noch nicht so genau nahm. In den 1970er-Jahren verstand man unter Utopie keinen Un-Ort (so die ursprüngliche Bedeutung des Wortes), sah weniger das Fiktionale,…