Sinnzusammenbrüche
Eine dekonstruktive Lektüre der Systemtheorie von Niklas Luhmann
Wenn wir von politischen Verhältnissen sprechen, können wir nicht davon ausgehen, dass es um Faktisches von unbestreitbarer Realität geht. Die Interpretationen der Daten und Ereignisse spielen auf dem Feld der Politik eine mindestens ebenso große Rolle, wie das, worauf sie sich beziehen. Und wenn man bereit ist, den Argumenten von Foucault oder Derrida zu folgen, wird man sogar davon ausgehen müssen, dass auch die Gegenstände politischer Interpretationen wiederum vor allem Interpretationen sind.
Dass ein solcher Verdacht nicht zur Einnahme völlig diffuser und beliebiger Positionen führen muss, dafür steht die Diskurstheorie ebenso ein wie die Theorie der Différance. Die größere Begriffssicherheit wird jedoch regelmäßig der Systemtheorie zugerechnet, wobei man allerdings gerne übersieht, dass deren Anstrengungen mit essentialistischen Vorurteilen aufzuräumen, an maßgeblichen Stellen nicht weniger radikal sind. Urs Stähelis Buch lässt sich in eine Gruppe von aktuellen Versuchen einreihen, an die neuralgischen Punkte dieser Problematik mit mehr Sorgfalt heranzugehen.
Die Systemtheorie startet bekanntlich mit der Differenz zwischen System und Umwelt, stuft also ähnlich wie Derrida die Identität von Systemen als nachgeordneten oder supplementären Effekt einer Unterscheidungsoperation ein. Und erst Beobachter, die die Abhängigkeit ihrer Beobachtungen von ihrer eigenen Perspektivik gerade ausblenden, können daher so tun als ob ein System und seine Umwelt gegebene und stabile Einheiten wären. Um die Unklarheiten auszuräumen, die, wie genauen Lesern aufgefallen sein wird, auch in Luhmanns Texten durch inkonsequenten Gebrauch der eigenen Termini entstanden sind, konzipiert Stäheli für die Unterscheidung von System und Umwelt ein dreistufiges Modell, das es erlaubt, auch den…