Jens Rönnau
Sigrid Sigurdsson
»Vor der Stille«
Overbeck-Gesellschaft, Lübeck, 5.3. – 14.5.2000
und Karl Ernst Osthaus-Museum, Hagen (Dauerausstellung)
Es gibt Kunstwerke, die müssen erst so richtig populär sein, müssen am Ort ihrer Präsenz erst Tausende von Menschen ansprechen und einbeziehen, bevor sie ihre volle Blüte entfalten. Das Werk von Sigrid Sigurdsson ist eines von jenen. Es lebt aus dem aktuellen Umgang mit Vergangenheit und bezieht dabei jeden einzelnen Ausstellungsbesucher sehr persönlich mit ein. Es geht um Geschichte, in deren Auseinandersetzung man sich ganz nach Gutdünken einmischen kann.
Eine solche Chance zum Einmischen bietet die 1943 in Oslo geborene Künstlerin an verschiedenen Orten, insbesondere im Hagener Karl Ernst Osthaus-Museum, wo sie ihr Projekt “Vor der Stille – ein kollektives Gedächtnis” seit 1989 konsequent aufbaut und weiterentwickelt: eine archaisch anmutende Sammlung in dunklen Regalen, die Sigurdsson in abgewandelter Form zur Lübecker Overbeck-Gesellschaft auf Reisen schickte.
Wer die Räume des Lübecker Kunstvereins betrat, musste quasi die Stadien einer Entwicklung durchlaufen, kam zunächst in einen Raum mit leeren dunklen Holzregalen, die auf ihre Inhalte noch zu warten schienen. Als nächstes betrat man einen Raum mit teilweise gefüllten Regalen und einem schmuddeligen klobigen Tisch in der Mitte, auf dem Bücher und Materialien zum Hineinschreiben einluden. Schließlich folgte das Herzstück der Ausstellung: das düstere Archiv mit wandfüllenden dunkelbraunen Regalen, fast hoch bis zur Decke.
In den einzelnen Fächern liegen oder stehen abgewetzte Bücherschwarten, prall gefüllt, auseinanderberstend. In anderen Fächern finden sich kleine Glasvitrinen, holzgerahmt, gerade 40 mal 60 Zentimeter groß, gefüllt mit musealen Gegenständen aller Art, mit Büchern, Fotos, Notizen. Davor wieder…