Johannes Meinhardt
Sein und Sehnsucht
10 italienische Künstler der 60er und 70er Jahre
Galerie der Stadt Eßlingen, Villa Merkel, 17.7.-25.8.1985
Kunstverein Kassel, 5.10. -30.10.1985
Die Eßlinger Villa Merkel ist, auch wenn sie nicht sehr groß ist, ein hervorragender Ort für eine arte-povera-Ausstellung; so wie in ihrer Geschichte sich die Gründerjahre der Schwerindustrie mit einem Renaissance-Klassizismus verbinden, steht sie selbst schon mitten in dem Spannungsfeld, in dem die Arbeiten der arte povera sich bewegen: der Untersuchung der Geschichtlichkeit und der Geschichte von Institutionen, von Sprache und Denkgewohnheiten, von modernen Mythen und Gefühlen. In Bezug setzen ließe sich die Villa etwa mit den Untersuchungen, die Luciano Fabro dem Spiel von Ordnung und Kombinatorik bei dem Renaissance-Architekten Palladio widmete, oder mit den gemauerten Schloten, die Jannis Kounellis errichtete und befeuerte.
Arte Povera ist eine sehr kluge und sehr zurückhaltende Kunst – die Arbeiten von Michelangelo Pistoletto fallen allerdings, nicht nur in dieser Ausstellung, etwas heraus -, die mit vielfältigen und komplexen Bezügen zur Umwelt, zum Subjekt und zur Kunst arbeitet. Ihre grundlegend geschichtliche Denkweise fördert eine starke Abneigung gegen abstrakte, quantitative Kategorien; ihre Kategorien sind für die Spur der Geschichte in der Gesellschaft, in der Sprache und sogar im Material, für die historische Ausprägung von Strukturen, Widersprüchen und Zusammenhängen; sie glaubt nicht an eine starre und quantifizierbare Natur der Dinge und Institutionen. Selbst die Natur der Sinnlichkeit, die Natur der Wahrnehmung und Erfahrung, zeigt sie als historisch entwickelte und veränderbare.
Deswegen beschäftigt sich die arte povera mit der Natur als natura naturans, mit der hervorbringenden Natur als…