Fragen zur Zeit
Schlitz, Schnitt, Naht
von Michael Hübl
Was der dänische „Postbrevkasse“ mit dem amerikanischen „National Endowment for the Arts“ zu tun hat
Sie sind schmuck, fast putzig. Ein bisschen sehen sie aus wie aus einer Spielzeugwelt, diese royalroten Boxen mit der Aufschrift „Postbrevkasse“. Sozusagen ein echtes Stück Dänemark, ob seiner gelungenen Gestaltung aufgenommen in die Top 101 guten dänischen Designs.1 Ein Wahrzeichen des Königreichs, das im ländlichen Fünen ebenso zu finden ist wie in der hochverdichteten Konsumzone des Flughafens von Kopenhagen. Doch auch bei den Dingen, die hübsch und herrlich daherkommen, gibt es das Kleingedruckte. Und dort steht im konkreten Fall, dass der Briefkasten nur noch mittwochs und samstags geleert werde. Außerdem könnte die Zustellung bis zu fünf Tagen dauern (im Inland versteht sich). Eine solche Mitteilung lässt die unterschiedlichsten Schlüsse zu. Man kann sie für einen absurden Scherz halten, für ein Versehen: Immerhin steht die rote Box in einem stark frequentierten Airport eines hochentwickelten und wohlstandsgesättigten Gemeinwesens, es kommen also genügend Reisende vorbei, die vielleicht ein Stück Post auf den Weg bringen wollen. Der nordeuropäische Sechs-Millionen-Einwohner-Staat dürfte zudem reich genug sein, um sich mehr als zwei Briefkastenleerungen pro Woche leisten zu können. Andererseits birgt die Serviceverknappung auf zwei Werktage utopisches Potenzial. Sie könnte ein Beitrag zu der seit Jahren allenthalben angemahnten Entschleunigung einer globalkapitalistisch getakteten Gesellschaft sein. Ein „memento piano piano“: Es geht auch langsam. Der Briefkastenschlitz als Anti-Mausklick: Rein mit der Sendung und warten bis sie ankommt – und das an einem Ort, der primär auf Schnelligkeit…