Jörg Heiser
Scharfrichter, Hohepriester und Netzwerker
Eine zeitgenössische Typologie der kunstkritischen Rollenbilder1
Im Rahmen der Vortragsreihe „Kritik nach der Kritik“ an der Zürcher Hochschule der Künste fragten die Veranstalter, „wie sehen die Rollenbilder der Kunstkritik“ aus. Im Folgenden geht der Autor von dem seit einigen Jahren vielerorts wieder beklagten Tod der Kunstkritik aus. Die Autopsie der vermeintlichen Leiche führt eingangs zu zwei sich ergänzenden Diagnosen.
Tod durch Strangulation und Vergiftung
Die erste lautet: Strangulation durch Markt. Der Tod trat ein durch Konkurrenz anderer Akteure, die Macht und Geld auf ihrer Seite haben. Der Kritiker sei verdrängt worden durch die Galeristen, die Museumsmacher, die Auktionshäuser und nicht zuletzt die Sammler, die untereinander ausmachten, was als gut und qualitätsvoll zu gelten habe. Die Kritik hat ihre Schuldigkeit getan, die Kritik kann gehen.
Die Kritik taugt in diesem Bild gerade mal noch als bestenfalls serviler, unterbezahlter Lieferant von Lobhudeleien und gelegentliche vorgetäuschten Anflügen von Streitkultur, schlimmstenfalls als nerviges Überbleibsel einer überwundenen Miesmacherkultur. Weg damit! Befreiungsschlag des Betriebs! Business-Bohemiens brauchen keine unterbezahlten Nörgler mehr!
Die zweite Diagnose lautet: Vergiftung durch Moderne. In dieser Lesart hat sich die Kunst der Kritik entledigt. Auch hier sind die Kritiker willfährige, im Grunde überflüssig gewordene Hohepriester oder Steigbügelhalter. Schleichend vergiftet wurde ihre Vernunft und ihr ästhetisches Urteilsvermögen von mystifizierenden Kunstscharlatanen der Moderne. Ihre Aufgabe ist nurmehr, deren Zeug mit pseudopoetischen und pseudowissenschaftlichen Ergüssen in Katalogen, Presseerklärungen, aber auch Zeitungen und Magazinen dem kopfschüttelnden, aber eingeschüchterten Publikum flankierend schönzureden.
Das impliziert natürlich, dass die moderne und zeitgenössische Kunst eines solchen riesigen Täuschungsmanövers überhaupt bedarf. Der Tod…